Montenegro: Präsident Milatović über wirtschaftspolitische Reformen

„Montenegro dürfte das nächste Land sein, das der EU beitritt“, sagt Jakov Milatović im Interview. Für Österreichbiete das „erhebliche Vorteile“. Der Präsident Montenegros war für einen Austausch mit Vertretern der österreichischenIndustrie im Haus der Industrie zu Gast.

Wie würden Sie die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Montenegro und Österreich beschreiben? 
Jakov Milatović: Österreich hat seit 2006 mehr als 700 Millionen Euro in unser Land investiert und gehört damit zu den zehn wichtigsten Investoren. Einige dieser Unternehmen haben sich zu tragenden Säulen unseres Finanz- und Dienstleistungssektors entwickelt und dabei jene Werte gelebt, die notwendig sind, um unser Unternehmensumfeld und unsere Unternehmenskultur zu stärken. Montenegro dürfte das nächste Land sein, das der EU beitritt. Aus österreichischer Perspektive bieten sich durch Nearshoring und Investitionen in ein Partnerland erhebliche Vorteile.

Wie entwickelt sich die Wirtschaft in Montenegro und welche Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht ergriffen werden?
In den vergangenen drei Jahren hat Montenegro ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erlebt – eine bemerkenswerte Leistung angesichts des erheblichen BIP-Rückgangs im Jahr 2020; der größte Rückgang in Europa. So wurde beispielsweise unsere Steuerlast auf Löhne und Gehälter umfassend reformiert. Diese und weitere Maßnahmen haben dazu geführt, dass wir nun eine der niedrigsten Steuerbelastungen für Gehälter in der Region haben, mit nur 21 Prozent Steuer auf den Mindestlohn, die graduell auf bis zu 32 Prozent für höhere Einkommen ansteigt. Nachdem wir ein günstiges Steuersystem haben, konzentrieren wir uns nun auf einen soliden Rechtsrahmen, um ausländische Direktinvestoren (ADI) anzuziehen. Im Jahr 2022 waren wir hinsichtlich der ADI im Verhältnis zum BIP unter den zehn größten Volkswirtschaften der Welt. Dies unterstreicht das Vertrauen ausländischer Investoren in unsere Wirtschaft.

Montenegro verhandelt seit 2012 mit der EU über einen Beitritt. Wie würden Sie den aktuellen Stand der Gespräche bewerten?
Fast ein Jahrzehnt lang waren wir die Champions der EU-Integration. Anstatt den Enthusiasmus zu verlieren, sind wir entschlossener denn je, die notwendigen Reformen durchzuführen, um der EU bis 2028 beizutreten. Besonders im Bereich der Demokratisierung unserer Gesellschaft haben wir erhebliche Fortschritte gemacht. Die politische Atmosphäre ist nun entspannter, Wahlen sind nicht mehr eine Frage von Leben und Tod. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir unsere Verpflichtungen bis 2028 erfüllen können. Wir appellieren auch an die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten, uns zu unterstützen und die Türen offen zu halten.

Wie sehen Sie die aktuellen geopolitischen Verschiebungen und wie positioniert sich Montenegro in diesem Zusammenhang?
Es ist offensichtlich, dass es Kräfte gibt, die Interesse an der Destabilisierung der Region haben. Wir können aber ein solches Risiko in Montenegro minimieren, indem wir unsere Beziehungen zu westlichen Partnern in der NATO und durch Investitionen in unsere Institutionen stärken. Generell bin ich der Überzeugung, dass Montenegros Beitritt zur EU für die Stabilität der gesamten Region von entscheidender Bedeutung ist. Er wird ein positives Signal an andere Nachbarländer senden, aber auch an die Ukraine und an Moldawien.