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Zuerst die Arbeit, dann das Verteilen – nicht umgekehrt!

Eine letztlich abgelehnte sozialpolitische Deklaration der EU macht wohleine Klarstellung notwendig: Unternehmerische Freiheit sorgt für Fortschritt, Wachstum und Wohlstand. Das ist die Basis für soziale Sicherheit, nicht umgekehrt.

Man sollte meinen, dass es ein leicht verständliches Prinzip ist: Zuerst muss der Wohlstand erwirtschaftet werden, bevor man darüber nachdenken kann, wie man ihn verteilt. Offenbar gibt es aber nicht nur regelmäßig Missverständnisse darüber, wie durch Fortschritt, Innovation und Leistung Wohlstand geschaffen wird. Selbst das simple Prinzip, dass nur verteilt werden kann, was vorher erarbeitet wurde, scheint immer öfter vergessen zu werden. So geschah es, dass EU-Institutionen unter Führung der belgischen Ratspräsidentschaft Mitte April eine Deklaration mit sozialpolitischen Maßnahmen vorgelegt haben, bei der sich Menschen mit Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge nur wundern können. Österreich hat diese in der belgischen Parkanlage „La Hulpe“ vorgelegte Erklärung übrigens nicht unterzeichnet.

Die Ratserklärung kommt mitten in einer angespannten konjunkturellen Lage – in Österreich sind wir immer noch in einer rezessiven Situation –, in der Europa massiv an Wettbewerbsfähigkeit verliert und jene Industrieunternehmen, die können, Produktionen an andere Standorte verlegen. Kurzum: Das Erwirtschaften von Wohlstand war schon einmal einfacher. Dass man der Deklaration angesichts dieser Realität nun Folgendes entgegenhalten muss, ist gelinde gesagt unangenehm: Dass eine Erhöhung der Sozialausgaben und strengere Arbeitsgesetzgebung automatisch zu mehr Wohlstand führen, ist schlichtweg falsch. Im Gegenteil: Es braucht dazu – bei einem klaren rechtlichen Rahmen – so viel unternehmerische Freiheit wie möglich. Es braucht keine neuen Steuern, sondern Anreize zu entsprechendem Lohn für mehr Leistung, es braucht fairen Handel mit verlässlichen Partnern und Stolz auf erfolgreiches Unternehmertum! Das ist die Basis für Lebensqualität und soziale Sicherheit, und nicht umgekehrt.

Ich erinnere an dieser Stelle an das Ziel der EU-Kommission, die bürokratische Belastung um 25 Prozent zu senken – das ist ein mehr als sinnvoller Schritt. Statt täglich viele Tausende Seiten Berichte, Informationen und ausgefüllte Formulare zu produzieren, sollten sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Umso ärgerlicher ist es, wenn in einer solchen Erklärung Verschärfungen von Richtlinien angedacht sind, die sich eben erst in der Umsetzungsphase befinden, und mit diesen neuen Ideen die bürokratische Belastung noch weiter erhöht würde. Das betrifft beispielsweise die Entgelttransparenzrichtlinie, deren Effekte derzeit erst abzuwarten sind, die gemäß der Erklärung aber um eine ambitionierte Gleichbehandlungsstrategie ergänzt werden sollte. Damit nicht genug, wird vorgeschlagen, Sozialinvestitionen im Rahmen der EU-Fiskalregeln als Ausnahme zu behandeln – auf die Idee, dass das eine offene Gefährdung der Tragfähigkeit der Staatshaushalte darstellt, ist offenbar niemand gekommen. Vielleicht wird das dann in einer dringend notwendigen Erklärung zur Wirtschaftsbildung erörtert – ob mit einer solchen zu rechnen ist, ist leider fraglich. Die EU braucht dringend einen Realitycheck und kann nicht nur ideologische Träumereien bedienen; die Bedeutung der EU-Wahl als wichtige Weichenstellung kann man gar nicht genug betonen.

Um mit Hoffnung zu schließen: Die „La Hulpe“-Erklärung wurde trotz massiven Drucks nicht unterzeichnet und der sogenannte „Letta“-Bericht zum Binnenmarkt zeigt in die richtige Richtung: mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie. Womöglich zeichnet sich ein Kurswechsel in Europa ab. Es ist auch höchst an der Zeit!

Ihr
Christoph Neumayer,
IV-Generalsekretär