Den Industriestandort Europa und insbesondere den Standort Österreich plagen gravierende strukturelle Probleme: hohe Lohnkosten, hohe Energie- und Klimakosten, die aktuelle geopolitische Lage verbunden mit den handelspolitischen Verwerfungen und zudem eine Fülle an bürokratischen Belastungen, zu einem guten Teil verursacht durch die Umsetzung der Green-Deal-Agenda der letzten Kommissionsperiode.
„Die Verschärfung der Klimaziele der EU kommt vor diesem Hintergrund zu einer Unzeit und nimmt zudem Handlungsspielraum in der für die energieintensive Industrie wichtigen Revision des Emissionshandels, worüber derzeit noch kaum gesprochen wird“, sagt Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission enthält die zentrale Zielsetzung, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 senken zu wollen. Damit schlägt die Kommission eine deutliche Verschärfung gegenüber einem linearen Zielpfad vor, gemäß dem die Emissionen bis 2040 um 78,5 Prozent reduziert werden müssten, um bis 2050 klimaneutral sein zu können.
Internationale Klimazertifikate – aber zu spät
Gemeinsam mit der Präsentation des 2040-Ziels wurden auch flankierende Maßnahmen vorgestellt, die laut Kommission die Umsetzungschance erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten sollen. Erstmals sollen bis zu drei Prozent der Nettoemissionen von 1990 durch internationale Klimaprojekte gemäß Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens angerechnet werden können.
„Diese Einbindung internationaler Klimazertifikate ist grundsätzlich sehr positiv, soll allerdings erst ab 2036 gelten. Diese Möglichkeit kommt damit viel zu spät, um die Industrie in den kritischen Jahren zu entlasten, bis Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen und ein Leitungsnetz für die Entsorgung von CO₂ (CCS) verfügbar ist“, sagt Peter Koren, Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung.
Zwar soll es für die energieintensive Industrie im Rahmen des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) nun eine Unterstützung für den Export von Produkten in Drittstaaten geben – das hatte die Industriellenvereinigung lange gefordert. Angekündigt ist das aber bereits länger, allein auf die konkrete Umsetzung warten die betroffenen Industriesektoren bis heute.
Seit Monaten trommelt die EU-Kommission, im Rahmen eines Clean Industrial Deal die Wettbewerbsfähigkeit an oberste Stelle zu setzen. Die Realität sieht laut IV-Präsident Knill nun aber anders aus: „Die präsentierten Maßnahmen sind bis dato kaum mehr als gut klingende Lippenbekenntnisse. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Kosteneffizienz von Maßnahmen werden mit dem Fortschreiben des international einsamen klimapolitischen Vorreitertums zu Nebenschauplätzen degradiert.“
Pragmatische EU-Energiepolitik zentral für den Standort
Ein wesentlicher Hemmschuh für die Industrie sind nach wie vor die hohen Energiekosten. Noch immer zahlen europäische Betriebe ein Vielfaches dessen, was globale Konkurrenten in den USA oder in China für Strom und Gas bezahlen.
Nach hinten losgehen könnte aus Sicht der Industrie hier auch der geopolitisch gut gemeinte Komplettausstieg der EU aus russischem Gas. Europa setzt sich damit verstärkt dem äußerst volatilen LNG-Weltmarkt aus und für die CEE-Region wird es zunehmend schwieriger, ausreichend liquide Gasmärkte zu erhalten und damit wettbewerbsfähige Gaspreise sicherzustellen.
Der derzeit diskutierte Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission bewirkt vielmehr eine bewusste, dauerhafte Verknappung des Angebots am europäischen Gasmarkt, welche nachteilige Auswirkungen auf Gaspreise und Versorgungssicherheit, insbesondere in Binnenländern, haben wird. Es bedarf daher nachvollziehbarer Maßnahmen, die dieses Szenario verhindern.
Europa ist kein Vorbild
Die Dekarbonisierung Europas wurde einst als Wachstumsagenda dargestellt, der andere Weltregionen folgen würden. Heute ist Europa zwar die einzige größere Region, die Emissionen substanziell reduzieren konnte, die strukturellen und teils hausgemachten Probleme der Industrie sind allerdings ebenso omnipräsent.
Dem globalen Klima ist mit dem europäischen Weg nicht geholfen, die Emissionsreduktionen der EU sind längst durch den Emissionsanstieg in Asien und anderen Regionen der Welt überkompensiert worden. Drittstaaten folgen dem europäischen Weg nicht – und damit bleibt die EU ihren zentralen Anspruch, jenen der Vorbildwirkung für andere Regionen der Welt, schuldig. Letztlich ist der Klimawandel jedoch nur dann effektiv bewältigbar, wenn die Lösungsansätze dafür international gedacht werden.
Klimaneutralität 2040 um jeden Preis?
Und in Österreich? Zu Hause möchte man noch ambitionierter agieren und bereits 2040 Klimaneutralität erreichen – zehn Jahre vor der Union.
„Ein klassischer Fall von politisch motiviertem Goldplating: Österreich verschärft seine nationalen Zielsetzungen über die ohnehin bereits äußerst ambitionierten EU-Vorgaben hinaus, und das freiwillig und ohne eine realistische Strategie zur Umsetzung. Von der letzten Regierung in besseren Zeiten vor den Krisen ersonnen, hält die aktuelle Regierung wider besseres Wissen an diesem Ziel fest“, sagt IV-Vize-Generalsekretär Koren.
Zu diesem Wissen gehöre auch, dass der österreichische Alleingang innerhalb des europäischen Staatenverbunds keinerlei Mehrwert für den Klimaschutz bringt. Wenn überhaupt, werde er dazu führen, dass sich andere Mitgliedsstaaten entsprechend weniger anstrengen müssen, um das gemeinsame EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Das überambitionierte Ziel Österreichs bringt nicht nur enorme Belastungen für die Betriebe und die Volkswirtschaft mit sich, es wird auch nur schwer zu erreichen sein. Schon beim derzeit geltenden Ziel, die Emissionen bis 2030 um 48 Prozent zu reduzieren, liegt Österreich deutlich zurück.
Der Nationale Energie- und Klimaplan (NEKP), das zentrale klimapolitische Planungsinstrument, ist in entscheidenden Bereichen vage, unkonkret oder politisch unverbindlich; gerade wenn es um die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen geht, deren Definition selbst umstritten ist.
„Dass Österreich ohne massive Korrekturen ein Ziel von minus 100 Prozent bis 2040 erreicht, ist daher kaum glaubhaft – die Milliarden für verfehlte Ziele sind aber real“, so Koren abschließend.