„Nachfrage nach Erdöl wird nicht nachlassen“

Haitham Al Ghais ist Generalsekretär der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und spricht im Interview über die Auswirkungen der Trump’schen Energiepolitik sowie darüber, wie ein steigender Ölverbrauch mit den Klimazielen zusammenpasst.

Unter dem Motto „Drill Baby Drill“ will US-Präsident Donald Trump die amerikanische Öl- und Gasproduktion radikal steigern. Welche Auswirkungen hat das auf den Weltmarkt?

S. E. Haitham Al Ghais: Die USA sind heute der größte Ölproduzent weltweit und ein wichtiger Teil des globalen Ölmarkts. Die OPEC wird auch weiterhin sorgfältig beobachten, wie die Unternehmen dort ihre Rohölressourcen entwickeln. Wie in allen Ländern hängt auch in den USA die Entwicklung der Produktion von einer Reihe von Faktoren ab, wie etwa Technologien, Infrastrukturen, Finanzsystemen – und letztlich der Wirtschaft.

Für uns ist es wichtig zu betonen, dass wir alle verschiedenen Einflüsse auf den globalen Ölmarkt überwachen. Das ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass wir das Ziel eines ausgewogenen Markts und einer nachhaltigen Marktstabilität im Blick behalten.

Die Idee des „Peak Oil“ ist so alt wie die Geschichte der Ölförderung selbst. Wir hören immer wieder, dass die weltweite Nachfrage nach Öl wahrscheinlich sinken wird. Der World Oil Outlook 2024 kommt jedoch zu einem anderen Schluss und prognostiziert einen Anstieg bis 2050. Warum erwarten Sie einen solchen Anstieg?

Es gibt mehrere Gründe, warum wir keinen Höhepunkt der Ölnachfrage am Horizont sehen. Der erste Grund liegt in der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung – die Weltbevölkerung wird bis 2050 voraussichtlich auf 9,7 Milliarden Menschen ansteigen. Die Verstädterung wird sich wahrscheinlich verstärken: Bis 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Die Größe der Weltwirtschaft wird sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Es wird erwartet, dass bis 2030 fünf Milliarden Menschen der Mittelschicht angehören werden – heute sind es noch über vier Milliarden. Es ist wahrscheinlich, dass all dies mit einem erheblichen Anstieg des Energieverbrauchs und damit auch des Ölverbrauchs einhergehen wird.

Es ist ein Mythos, dass neue Energiequellen automatisch ältere ersetzen. Die Realität sieht anders aus. Die Welt verbraucht heute mehr Kohle, Öl, Gas, Holz und Strom als je zuvor. In vielerlei Hinsicht stimuliert das Wachstum einer Energiequelle das Wachstum einer anderen. So werden zum Beispiel erdölbetriebene Maschinen und aus Erdöl gewonnene Produkte bei der Herstellung und Installation von Windturbinen, Solaranlagen und anderen erneuerbaren Energiequellen verwendet. Sie werden in Lithium-Ionen-Batterien und im gesamten Stromnetz verwendet.

Darüber hinaus müssen wir die Vielzahl an Erdöl- und erdölbasierten Produkten berücksichtigen, die wir alle im täglichen Leben verwenden – angefangen bei Verkehrsmitteln, die mit Benzin, Diesel oder Düsentreibstoff angetrieben werden. Kunststoffe, die in Laptops, Computern und Fernsehbildschirmen verwendet werden, basieren ebenso häufig auf Erdöl wie Produkte, die in der medizinischen Versorgung und in Krankenhäusern zum Einsatz kommen. Hinzu kommen Verpackungen, die Lebensmittel vor dem Verderben bewahren, sowie landwirtschaftliche Produkte und Haushaltsgegenstände.

Angesichts all dieser Faktoren ist es nachvollziehbar, dass die Nachfrage nach Erdöl auch in den kommenden Jahrzehnten nicht nachlassen wird.

Wie passen die Erwartungen der OPEC an einen weiteren Anstieg des Ölverbrauchs mit den Pariser Klimazielen zusammen?

Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass die OPEC das Pariser Abkommen voll und ganz unterstützt, da die Mitgliedsländer das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert haben. Ebenso wichtig zu betonen ist, dass die Pariser Klimaziele die Reduktion von Emissionen betreffen, nicht den Ersatz oder die Bevorzugung bestimmter Energiequellen. Der Klimaschutzprozess ist nicht dazu gedacht, politische Richtlinien vorzugeben. Die Ölindustrie muss zur Emissionsreduktion beitragen – durch Investitionen in Technologien wie Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung, durch Effizienzsteigerung, die Reduktion von Methanemissionen und andere innovative Lösungen. Unsere Mitgliedsländer sind auch führend bei Investitionen in erneuerbare Energien.

Zudem sollte man die Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen nicht außer Acht lassen. Diese Agenda hat das Ziel, den Zugang zu erschwinglicher, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle zu gewährleisten. Rund 685 Millionen Menschen weltweit haben immer noch keinen Zugang zu Elektrizität und etwa 2,1 Milliarden haben keinen Zugang zu sauberen Brennstoffen zum Kochen. Diese Menschen dürfen in unserer Energiezukunft nicht vergessen werden.

Deshalb müssen politische Entscheidungsträger sorgfältig abwägen, wie sie Emissionen senken wollen, ohne dabei die Energieversorgungssicherheit zu gefährden oder bestehende Ungleichheiten zu verschärfen. Eine universelle Lösung für das Klimaproblem gibt es nicht.

Welche Rolle spielen erneuerbare Energiequellen innerhalb der OPEC und wie wichtig sind Investitionen in diesem Bereich aus Sicht der Mitgliedsstaaten?

Wir betrachten erneuerbare Energien als entscheidend für unsere Energiezukunft. Alle Energiequellen sind wichtig. Aus Sicht der OPEC berichtete die „Financial Times“ kürzlich, dass der Nahe Osten heute der am schnellsten wachsende Markt für erneuerbare Energien außerhalb Chinas ist, wobei Masdar in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ACWA Power in Saudi-Arabien und andere OPEC-Mitgliedsländer eine Vorreiterrolle spielen. Die OPEC weiß, wie wichtig ein ausgewogener Ansatz ist.

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass Wind- und Solarenergie derzeit nur etwa vier Prozent der weltweiten Energieversorgung ausmachen. Die globale Verbreitung von Elektrofahrzeugen liegt zwischen zwei und drei Prozent, obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als 9,5 Billionen Dollar in den „Energiewandel“ investiert wurden.

Wir begrüßen die Fortschritte bei den erneuerbaren Energien und den Elektrofahrzeugen, aber sie reichen bei Weitem nicht aus, um 80 Prozent des Energiemixes zu ersetzen. Darüber hinaus bleiben die Stromnetze, die Kapazitäten zur Herstellung von Batterien und der Zugang zu wichtigen Mineralien eine große Herausforderung.


Zur Person
Haitham Al Ghais ist seit 2022 Generalsekretär der OPEC. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Erdölindustrie und war in führenden Positionen bei der Kuwait Petroleum Corporation tätig. Von 2017 bis 2021 stand er dem technischen Komitee der OPEC+ vor und war in verschiedenen internationalen Gremien aktiv.