Herr Vizerektor Weihs, Sie leiten den Exzellenzcluster für Quantenforschung. Woran arbeiten die Forschenden aktuell und welche zukünftigen Entwicklungen erwarten uns?
Generell geht es im Exzellenzcluster um grundlegende Fragen der Quantenwissenschaften; so etwa um die Kompatibilität der Konzepte von Raum, Zeit und Gravitation mit der Quantenphysik. Es ist vielleicht bekannt, dass wir keine Quantentheorie der Gravitation haben. Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenphysik haben aber in kosmischen Phänomenen wie schwarzen Löchern Berührungspunkte, die wir mit dem heutigen Wissen nicht beschreiben können. Eine Masse zieht eine andere an. Was passiert aber, wenn die eine Masse an zwei Orten gleichzeitig ist, wie es die Quantenphysik erlaubt? Ist dann auch das Gravitationsfeld in einer Überlagerung von zwei Richtungen und heißt das, dass die Geometrie des Raums selbst nicht mehr eindeutig ist? Das sind extrem spannende Fragen, und moderne Experimente in unseren Labors könnten darauf Antworten geben, mit denen man vielleicht einmal klären kann, ob es möglich ist, in der Zeit zu reisen. Ebenso fundamentale Fragen zur Zukunft der Quanteninformationsverarbeitung oder zur Quantenphysik von Vielteilchensystemen beschäftigen die österreichische Quanten-Community.
Wie ist aus Ihrer Sicht der aktuelle Status der zukünftigen Anwendungen von Quantentechnologien in der Industrie?
Man kann schon heute von Dutzenden Anbietern – auch österreichischen – Quantencomputer kaufen, die nicht mehr nur Spielerei sind, sondern durch ihre Quanten-Rechenleistung in bestimmten Bereichen ernsthafte Entwicklungen ermöglichen könnten. Wirtschaftlich mag das für einen Betrieb noch uninteressant sein, aber der Tag, an dem in der Materialforschung oder Chemie spezielle Simulationen auf einem Quantencomputer wirklich effizienter laufen als auf einem herkömmlichen Supercomputer, ist wohl nicht mehr weit. Noch weiter ist die Quantenkryptografie, insbesondere die Erzeugung von abhörsicheren, geheimen Schlüsseln an zwei Orten, mithilfe derer jegliche Information absolut sicher verschlüsselt werden kann. Solche Nachrichten sind auch sicher gegen einen Angriff mit Quantencomputern, die die derzeit im Internet verwendeten Public-Key-Methoden knacken könnten und damit eine ernsthafte Bedrohung für unsere Gesellschaft darstellen. Die erhältlichen Systeme lassen sich bereits relativ problemlos in existierende Kommunikationsinfrastruktur integrieren, die Hürde ist also nicht mehr sehr hoch.
Europa kann eine führende Rolle in der Quantentechnologie einnehmen und technologisch unabhängig sein. Was kann die Industrie heute konkret dafür tun?
Die existierende Industrie kann sich sowohl als Zulieferer von Komponenten und Instrumenten als auch als Abnehmer von Quantentechnologien einbringen. Quantentechnologien brauchen Spitzentechnologien bei Werkstoffen, Elektronik, Nanofabrikation, Photonik, in Präzisionsfertigung und Automatisierung – in allen diesen Bereichen hat Europa große Leitbetriebe und mittelständische Spezialisten, die in ihrer Branche Weltmarktführer sind. Jedes interessierte Unternehmen kann Mitglied im Quantum Industry Consortium des europäischen Quanten-Flagschiff-Programms werden und dort am Puls der Entwicklung mitwirken.
Wien ist inzwischen ein international bekannter Startup-Standort. Wie profitieren etablierte Unternehmen und Startups voneinander – und welchen Beitrag leistet die „ViennaUP“?
Startups bringen disruptive Ideen in etablierte Branchen. Sie ermöglichen es bestehenden Unternehmen, zukunftsweisende Technologien und Produkte schneller in vorhandene Strukturen zu integrieren. Gelingt das Zusammenspiel zwischen renommierten Betrieben und innovativen Startups, ist das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für eine Stadt. Gemeinsam mit der IV-Wien haben wir in den letzten Jahren viel für den Wirtschaftsstandort Wien erreicht; nicht zuletzt durch den Imageturbo „ViennaUP“, das internationale Startup-Festival, das Gründer, Investoren, Talente und Kreative aus aller Welt nach Wien bringt. „ViennaUP“ bietet weit mehr als nur eine Konferenz: Der hohe internationale Anteil von 55 Prozent beweist, dass das Festival den Nerv der internationalen Startups trifft. Alle Events im Rahmen des Events werden von der Community für die Community gestaltet und sind thematisch breit gefächert – dieses Konzept ist einzigartig und hat uns in die Top-Liga der internationalen Startup-Festivals katapultiert: 2025 wurden wir vom anerkannten Index „StartupBlink“ zur Nummer drei der europäischen Startup-Festivals gewählt.
Zur Person
Gregor Weihs ist Vizerektor für Forschung und Professor für Photonik an der Universität Innsbruck. Davor forschte er u. a. an der Stanford University und war Vizepräsident des Wissenschaftsfonds FWF. Er leitet den FWF-geförderten Exzellenzcluster „Quantum Science Austria“.