"Ein Geistesblitz lässt sich nicht planen" - Interview mit Martin Hetzer

Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg nahe Wien forschen einige der besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Welt. ISTA-Präsident Martin Hetzer spricht im Interview über die wichtige Rolle der Grundlagenforschung, Risikobereitschaft und wie Österreich noch innovativer wird. 

Österreich ist ein Land mit sehr hohen Forschungsausgaben. Es wird aber immer wieder beklagt, dass dem auch ein höherer “Output” gegenüberstehen könnte. Woran hapert es?

Martin Hetzer: Erst einmal unterstütze ich die aktive Forschungspolitik Österreichs. Wenige wissen, dass wir 3,2 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investieren, Tendenz steigend. Mit dieser Forschungsquote liegen wir europaweit im absoluten Spitzenfeld, nämlich auf Platz drei. Was den „Output“ angeht, muss man verstehen, was Grundlagenforschung leisten kann. Innovative Grundlagenforschung führt im besten Fall zu unerwarteten Entdeckungen, die zu völlig neuen Fragen führen. Planbar ist das nur bedingt und hochkomplexe Phänomene erfordern Zeit, um die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen. Ungeduld ist verständlich, aber kann sogar kontraproduktiv wirken. Ein Geistesblitz lässt sich nicht planen oder forcieren. Aber er lässt sich begünstigen. Sehen Sie sich unser Institut an: Wir rekrutieren die besten Forscherinnen und Forscher der Welt, viele davon unter dreißig, in ihrer innovativsten Schaffensphase, und stellen ihnen alles zur Verfügung, was sich Forscherinnen und Forscher wünschen können. Topmoderne Laboratorien, das beste Equipment, hochprofessionellen Support, finanzielle Absicherung, und vor allem Unabhängigkeit und eine Kultur der  Risikobereitschaft, neue Wege zu gehen. Am ISTA können sie erforschen, was auch immer ihre Neugierde entfacht. Und es funktioniert: Wir erreichen Platz drei weltweit, wenn man den Output pro Forscherin oder Forscher betrachtet. Ich denke, aus diesem erfolgreichen „Experiment“ kann man etwas lernen.

Wie wichtig ist technologische Innovation in einem Land, das mit hohen Lohnkosten und als Exportnation im internationalen Wettbewerb steht. Oder anders gefragt: Welche Konsequenzen sehen Sie, wenn wir unsere Hausaufgaben in den Bereichen Forschung & Entwicklung und Innovation nicht machen?

Grundlagenforschung ebnet langfristig den Weg für Technologien und nützliche Anwendungen. Sie wird nicht innovativer, wenn sie enge kurzfristige Ziele vorgeschrieben bekommt. Im Gegenteil, echte Innovation entsteht, wenn die Forschung ihre eigenen Ziele entwickelt. Eine Gesellschaft, die sich ausschließlich und ungeduldig auf angewandte Forschung konzentriert, würde letztlich wenig haben, was sie anwenden kann. Angewandte Forschung ist zweifellos wichtig und am ISTA unterstützen wir auch aktiv Technologietransfer. Denn ich glaube, in seiner Charakteristik könnte Österreich im Bereich Innovation ganz vorne mitspielen, und tut das auch in vielen Bereichen. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass der Ursprung aller Innovation in der Grundlagenforschung zu finden ist, aus der alle Anwendungen und Lösungen hervorgehen. Als kleines Land müssen wir diesen Blick annehmen, um im globalen Wettbewerb mitzumischen. Wir können nicht mit der Quantität industrieller Produktion mithalten, wir müssen auf Talententwicklung, Qualität, moderne Forschungsinfrastruktur, nationale und internationale Kooperationen, Förderung von Forschung und Entwicklung sowie regulatorische Flexibilität setzen. In zwanzig bis dreißig Jahren wird sich der Energiesektor grundlegend dekarbonisiert haben und digitalisiert gewirtschaftet werden. Österreich könnte hier innovative Lösungen entwickeln, anbieten und exportieren. Das betrifft alle Felder, von Kreislaufwirtschaft über neue Materialien, Datensicherheit, künstliche Intelligenz, moderne Medizin und vieles mehr.

Was wären diese Hausaufgaben? Was müssen wir tun, um bei Innovation im europäischen Spitzenfeld mitzuspielen?

Wir haben wie gesagt eine kompetitive Forschungsquote und auch vergleichsweise viele Absolventinnen und Absolventen in MINT-Fächern – diesen Teil der Hausaufgaben haben wir gemacht. Ich glaube, Österreich könnte tatsächlich nicht nur europaweit, sondern global vorne mitspielen. Was braucht es dazu? Führende Nationen im Bereich Innovation wie Israel und Südkorea investieren fünf Prozent und mehr in Forschung und Entwicklung, auch die USA liegen bei 3,5 Prozent. Diese Länder zeichnet darüber hinaus eine Fehlerkultur aus, die ich in Österreich so erst in Anfängen sehe. Man muss den Mut zum Risiko haben, wobei das Zitat gilt „Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut“. Start-ups können scheitern, visionäre Projekte können scheitern. Wenn wir die großen Herausforderungen, von Klimakrise, alternde Gesellschaft bis künstliche Intelligenz meistern wollen, müssen wir mutige Menschen unterstützen, die ausprobieren, was noch nie versucht wurde, die neue Wege gehen, die noch gar nicht existieren. Mit ‚xista‘ haben wir am Institut beispielsweise ein tolles Programm geschaffen, dass Firmengründungen unterstützt, finanziert und sogar Räumlichkeiten bietet. Ich lade alle herzlich dazu ein, am 17. Oktober zu unserem Event BigX zu kommen, um mehr zu erfahren und genau diesen Fragen nachzugehen.

In welchen Technologien und Forschungsfeldern hat Österreich besondere Stärken?

Nicht nur der Nobelpreis für Anton Zeilinger hat gezeigt, dass wir in der Quantenphysik ganz vorne mitspielen. Relativ zur Größe des Landes gibt es in keinem anderen EU-Land mehr wissenschaftliche Arbeiten aus dieser Zukunftsbranche. Auch am Institute of Science and Technology Austria forschen fünf Gruppen in diesem Bereich und profitieren vom Austausch mit anderen österreichischen Teams. In der Entwicklung neuer Materialien, Energiespeicherung und -Konvertierung, in vielen Bereichen der Lebenswissenschaften hätte Österreich die besten Voraussetzungen Vorreiter zu werden. Ich bin überzeugt, dass wir am ISTA mit unserem interdisziplinären Ansatz zur Grundlagenforschung Lösungen beisteuern können, die in zwanzig, vielleicht dreißig Jahren den Unterschied ausmachen werden. 

Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) wurde 2007 als postgraduale Wissenschaftseinrichtung gegründet, die nach dem Vorbild ausländischer Einrichtungen wie dem Weizmann-Institut für Wissenschaften oder der Rockefeller University Spitzenforschung im Bereich der Grundlagenforschung betreibt.

In Zahlen

Mehr als 4.000 wissenschaftliche Publikationen. Im Jahr 2019 belegt das ISTA laut dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature Platz 3 des weltweiten Forschungsrankings Nature Index. 58 ERC Grants gab es bisher für 47 Professorinnen und Professoren (hochdotierte Förderungen für Grundlagenforschung des European Research Council) des ISTA.