Ein moderner Staat für mehr Tempo

Egal ob bei Genehmigungsverfahren für  Infrastruktur oder der Komplexität des  Steuersystems – in der österreichischen  Bürokratie ist so manches komplizierter  als es sein sollte. 

Die Energiewende soll bei der Stromproduktion in Österreich 2030 abgeschlossen sein. Dazu gibt es mit dem Erneuerbaren Ausbau Gesetz (EAG) ein eigenes Gesetz. Dieses sieht vor, dass Österreich ab 2030 genauso viel Strom aus erneuerbaren Quellen produziert, wie in Österreich verbraucht wird. Der erforderliche Ausbau von Windkraft, Solarenergie und Wasserkraft ist enorm und löst Milliardeninvestitionen aus. In rund sechs Jahren sollen die neuen Anlagen fertig sein, die eine zusätzliche jährliche Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen in der Höhe von 27 Terawattstunden ermöglichen. Bis solche Anlagen und die dafür notwendige Infrastruktur in Betrieb gehen können, vergeht mitunter aber viel mehr Zeit als die verbleibenden Jahre bis 2030.  „Der Wunsch, klimaschädliche Emissionen durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energie zu reduzieren, ist zwar groß in Politik und Gesellschaft – die Verfahren für den Ausbau der dafür notwendigen Infrastruktur dauern aber Jahre, wenn nicht Jahrzehnte”,  sagt voestalpine-Finanzvorstand  Robert Ottel. 

Langes Warten auf die Leitung

Die voestalpine wird in Linz und Donawitz grünen Stahl erzeugen. Dafür werden in einem ersten Schritt zwei Hochöfen, in denen bei Temperaturen von über 2000 Grad Celsius Stahl entsteht, durch Elektroöfen ersetzt.  Das ist für die gesamte österreichische CO2-Bilanz ein bedeutender Schritt.  Mit den Elektroöfen will die voestalpine das Ziel, die eigenen CO2-Emissionen gegenüber dem Referenzwert von 1990 zu halbieren, erreichen. Damit dort grüner Stahl produziert werden kann, braucht es aber auch die notwendige Stromversorgung und dafür eine 220-kV-Leitung. Anfang 2022 hat das Verfahren begonnen und die voestalpine geht davon aus, dass die Leitung rechtzeitig zur Inbetriebnahme der Elektroöfen 2027 fertig sein wird.  Fünf Jahre für eine Stromleitung in Österreich. Ein anderes Beispiel ist die Salzburgleitung, ein 380-kV-Stromleitungsprojekt, das das Stromnetz fit für die Energiewende machen soll. Die Baugeschichte der Salzburgleitung reicht bis in das Jahr 2010 zurück, 2025 soll sie in Betrieb gehen. “Diese Verfahren sind zu komplex und es gibt zu viele Möglichkeiten, sie systematisch  zu verlangsamen und zu behindern”,  sagt Ottel.

Dieses Dilemma des Ausbaus erneuerbarer  Energieanlagen ist symptomatisch  für die oft lähmende Kraft  von Bürokratie und Regulierung in  Österreich. Das International Institute  for Management Development  (IMD) in der Schweiz erstellt seit 1989  eine vielbeachtete Rangliste der rund  60 wettbewerbsfähigsten Länder der  Welt. 2023 schaffte es Österreich lediglich  auf Platz 24 von 64 – seit Jahren  geht es abwärts, 2016 lag Österreich  noch auf Platz 16. “Das ist tatsächlich  erstaunlich: Obwohl ein Großteil  der Regulierung mittlerweile auf  europäischer Ebene gestaltet wird,  schneidet Österreich schlechter ab als  vergleichbare europäische Länder wie  Dänemark, Irland, Niederlande und  Schweden, die Top-Platzierungen in  dem Ranking haben”, so Ottel. Gründe  dafür gibt es gleich einige. “Teilweise  liegt es an sogenanntem Gold  Plating, also der noch strengen und  noch genaueren Gesetzgebung”. Diese  Übererfüllung von EU-Verordnungen  und -Richtlinien kann in einigen Bereichen  sinnvoll sein, etwa in sozialen  Fragen. Gold Plating im Steuerrecht  oder Verwaltungsrecht hingegen führt  zu überbordender Bürokratie. „Das österreichische  Steuersystem ist extrem  komplex, hat viele Ausnahmen, detaillierte  Verordnungen und es gibt jedes  Jahr Änderungen”, meint Ottel. Im  Punkt Steuerpolitik liegt Österreich  im IMD-Ranking nach Wettbewerbsfähigkeit  auf Platz 62 von 64 Ländern. 

Hohe Abgabenquote 

Auch die österreichische Industrie  stellt dem Land im Bereich “Moderner  Staat” kein gutes Zeugnis aus, wie aus  dem jüngsten “Standortbarometer”  der Industriellenvereinigung hervorgeht,  für das vierteljährlich 50 führende  Vertreterinnen und Vertreter aus  Industrie, Finanzwirtschaft, Wissenschaft  und Verbänden befragt werden.  Die Industrie fordert eine Senkung der  Steuer- und Abgabenquote – derzeit  mit 43,5 Prozent die vierthöchste in  der EU – entlang eines festgelegten  Pfades für die kommenden Jahre und  bis 2030 auf eine Abgabenquote von  40 Prozent. Im Steuerrecht gibt es  noch Verbesserungspotenziale, die  sich ohne hohe Budgetkosten heben  lassen und gleichzeitig eine erhebliche  Entlastung für Unternehmen und Finanzverwaltung  brächten. So brächte  beispielsweise eine Abschaffung von  Rechtsgeschäftsgebühren eine Entlastung  von bis zu 150 Millionen Euro.  Bei solchen Bagatellsteuern ist der  administrative Aufwand in der Regel  höher als die Einnahmen, die damit  erzielt werden – sie zu streichen, würde  das österreichische Steuersystem  deutlich vereinfachen.

Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen  zur Entbürokratisierung  notwendig – etwa eine Angleichung  des Unternehmensrechts an  das Steuerrecht, wenn es um Abschreibungen  oder Rückstellungen  geht, die Umsetzung der Betriebsprüfung  auf Antrag und die weitere  Digitalisierung der Finanzverwaltung. 

Mehr Freiheit und Digitalisierung

Besonders bei Genehmigungsverfahren  und in der Steuerpolitik hätte  Österreich also eine Menge Optimierungsbedarf.  Bürokratie hat aber auch  eine positive Seite. Die große Rechtssicherheit  ist sicher ein positiver Punkt im  internationalen Vergleich”. Ineffizienzen  ortet der Experte vor allem in  der Verwaltung. Österreich betrachte  Unternehmen häufig mit einem  Vorschuss an Misstrauen und werte  Risiken höher als Chancen.

Wir alle, dazu gehören auch die Unternehmen, brauchen Bürokratie und Regulierung als gemeinsamer Rahmen, in dem wir uns sicher und frei bewegen können – im Inland und auch im internationalen Wettbewerb.


Dementsprechend  würden Ermessensspielräume  in der Verwaltung meist nicht  im Sinne der Chancen genutzt. “Die  Verwaltung erstarrt immer mehr in  Angst vor Vorwürfen der Bevorzugung,  des Machtmissbrauchs und der  Furcht vor Amtshaftungsklagen”, so  Ottel. „Wenn man als Beamter Angst  davor haben muss, Ermessensspielräume  zu nutzen, dauert alles unglaublich  lange.

Wirtschaft lebt aber  von Freiräumen und sachkundiger  Beurteilung und nicht von der übergenauen  und unflexiblen Prüfung  mittels Formular auf Punkt und Beistrich”.  Eine Chance, effizienter und  schneller zu werden, sieht er in der  Digitalisierung. Schon eine zentrale  Datenbank wäre eine große Erleichterung:  “Wir alle wundern uns, in wie  vielen verschiedenen Systemen Staat,  Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungskörper  Daten mittels  Fragebögen mehrfach erfragen – das  könnte man doch verbinden”.