1996, also unmittelbar nach dem Beitritt Österreichs zur EU, Präsident der Industriellenvereinigung. Für Österreich als Exportnation war die EU ein Gamechanger – wie haben Sie die Stimmung damals erlebt?
Eine mögliche Union mit anderen europäischen Ländern hatte bereits in den 1970ern heftige Debatten ausgelöst. Auch in der Industrie gab es eine Gruppe, die damals bereits gegen den Beitritt zur EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Anm.) war und einen solchen als zu enge Verbindung mit Deutschland betrachtet hat. Und in der Gewerkschaft gab es eine Furcht vor billigen Arbeitskräften aus dem Ausland. Bekanntermaßen blieb es für Österreich zunächst beim europäischen Freihandelsabkommen EFTA. Die Industriellenvereinigung – und hier die Junge Industrie unter Christoph Leitl – hat sich aber weiterhin sehr für einen Beitritt zur EU eingesetzt. Politisch gesehen war es ein Husarenritt, weil es gerade auf der sozialdemokratischen Seite starke Gegenbewegungen gegeben hat. Der damalige Bundeskanzler Vranitzky hat sich hier voll in die Schlacht geworfen und einen maßgeblichen Beitrag geliefert, dass die EU bei den Sozialdemokraten hoffähig geworden ist und akzeptiert wurde. Der Beitritt zur EU war für die exportierende Industrie ein ganz großer Schritt vorwärts. Ein noch größerer Gamechanger war aber der Fall des Eisernen Vorhangs. Die Öffnung der umliegenden Länder hat viele neue Investitionsmöglichkeiten gebracht, die Österreich sehr gut zu nutzen gewusst hat. Zu Beginn war Österreich in einigen dieser Länder der aktivste und größte Investor.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Kritik an der Globalisierung und heute sieht man, dass viele Österreicher Freihandelsabkommen ablehnend gegenüberstehen.
Dass Österreich so skeptisch ist, wenn es um Handelsverträge wie CETA mit Kanada oder Mercosur mit Südamerika geht, hat ganz stark mit massiven Einzelinteressen zu tun. Da ist es sehr schwer, mit rationalen Argumenten durchzukommen. Wenn Sie sich Mercosur anschauen – diese unheilige Allianz zwischen Bauern, einer großen Handelskette und der Kronenzeitung ist sehr schwer zu überwinden. Es ist ja paradox, dass wir hier nicht einen vollen Durchbruch erreichen und dass sich die Politik nicht traut, diesen für die österreichische Wirtschaft so wichtigen Schritt zu machen. Die Bauern haben Angst vor 90.000 Tonnen Rindfleisch aus Südamerika, dabei entspricht das gerade einmal 1,2 Prozent der EU-Rindfleischproduktion.
Erwarten sie sich manchmal von der Politik mutigere Entscheidungen entlang rationaler Argumente?
Ja, wissen Sie, ich bin jetzt über 80 und abgeklärt. Natürlich wünscht man sich viel und es hat auch Zeiten gegeben, wo die politischen Konstellationen ein solches Handeln ermöglicht haben.
Wie geht es dem Industriestandort Europa und Österreich derzeit aus Ihrer Sicht? Teilen Sie die Sorge vor einer De-Industrialisierung, also einer Verlagerung der Produktionen und Investments in andere Weltregionen?
Sehen wir uns die einzelnen Regionen an. China spielt bei den Direktinvestitionen aus österreichischer Sicht keine große Rolle mehr – da sind wir derzeit auf dem Niveau der 1980er- Jahre. Bei Indien sind die Hoffnungen viel größer als die nachvollziehbaren Realitäten. Wir haben zwei Werke in Indien, ich kenne mich da also ein bisschen aus und glaube nicht, dass es große Verlagerungen industrieller Produktion von Europa nach Indien geben wird. Die USA sind durch ihren Inflation Reduction Act natürlich sehr attraktiv. Aber dort gibt es zu wenig Arbeitskräfte und schon gar keine gut ausgebildeten. Die Realität für Österreich ist eher, dass sich viel in Richtung Nachbarländer bewegt. In der Slowakei kostet uns eine Arbeitskraft nur halb so viel wie in Österreich. Das ist ein gravierendes Argument, zumal die Qualifikation der Arbeitskräfte in diesen Ländern schon sehr gut ist. Da passiert eine schleichende Verlagerung in dem Sinne, dass neue Arbeitsplätze vielleicht eher dort entstehen als bei uns.
Umgekehrte Frage: Was macht Österreich als Standort für Industrieproduktion attraktiv?
Die Menschen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreich sind in jeglicher Hinsicht hervorragend. Sie sind gut ausgebildet und motiviert. Das ist sehr wichtig und die Industriellenvereinigung hat immer große Schwerpunkte auf Bildung und Forschung gesetzt.
Reden wir über Arbeit. Die Jungen wollen Work-Life-Balance und sind nicht mehr bereit, hart zu arbeiten, sagt das Klischee. Haben wir ein Problem oder haben wir es mit einem ganz normalen Generationen- Konflikt zu tun?
Gute Frage. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, in der wir am Samstag noch gearbeitet haben. Wir haben noch eine 48-Stunden-Woche gehabt, dann wurde das schrittweise reduziert. Ich glaube nicht, dass wir bei der derzeitigen fixen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden bleiben werden. Die Frage ist aber, wie wir uns eine weitere entsprechende Reduktion der Arbeit gesamtwirtschaftlich leisten können. Ich stelle auch nicht fest, dass die junge Generation anders ist als meine Generation im Vergleich zu der Generation davor: andere Interessen, andere Vorstellungen, andere Wünsche. Das ist vollkommen klar. Natürlich sehen wir auch an unseren Standorten in Oberösterreich und in der Steiermark junge Leute mit dem Wunsch nach Homeoffice und Work-Life- Balance. Vieles davon sind aber auch Zeiterscheinungen. Ich bin da eher optimistisch als pessimistisch. Die 32-Stunden-Woche ist nicht überall so begehrt, wie man vielleicht den Eindruck haben könnte. Ich spreche viel mit unseren Mitarbeitern, wenn ich unterwegs bin. Die sagen mir dann: Wie soll das denn gehen, wir haben eh zu wenige Leute. Viele Mitarbeiter wollen mehr Überstunden leisten und ein besseres Nettoeinkommen haben. Auch die älteren Leute wollen länger arbeiten, aber nicht zu 50 Prozent für den Staat.
Die Miba hat Ihr Vater gegründet und mittlerweile haben Sie das Ruder an Ihren Sohn übergeben. Was bedeutet es, ein Unternehmen dieser Größe in der Familie zu halten? War es immer klar, dass Ihre Kinder in das Unternehmen eintreten?
Dass das Unternehmen in der Familie bleibt, ist festgelegt. Wir waren zwar an der Wiener Börse, sind seit acht Jahren aber wieder zu hundert Prozent in Familienhand. Die Frage des Generationenübergangs ist aber immer spannend und für Familienunternehmen mitunter eine sehr kritische. Natürlich gab es bei uns immer den Wunsch, dass das Unternehmen auch in der nächsten Generation von jemandem aus der Familie geführt wird. Bei uns hat diese Entscheidung aber ein Aufsichtsrat zu treffen gehabt, der nicht von Familienmitgliedern besetzt ist. Wir sind überzeugt davon, dass wir gegenüber unseren Kunden und Mitarbeitern weltweit eine viel zu große Verantwortung haben und nicht das Risiko eingehen könnten, das Unternehmen von einem nicht dafür qualifizierten Familienmitglied führen zu lassen. Bei uns ist diese Übergabe an die nächste Generation geglückt, ob das auch in der nächsten Generation so sein wird, wird wieder ein unabhängiger Aufsichtsrat zu entscheiden haben. Wie auch immer diese Entscheidung ausgeht, wir sind und bleiben auf jeden Fall ein Familienunternehmen. Das daraus resultierende Interesse ist vor allem ein langfristiger Bestand und ein kontinuierliches Wachstum.
Haben Sie Ihren Kindern das bereits mitgegeben, als sie noch klein waren? Kann man Kinder zu künftigen Unternehmern erziehen?
Natürlich, am besten, indem man sie von Anfang an mitnimmt. Meine Kinder waren immer dabei: Mitarbeit in den Ferien, bei Firmenfeiern, bei vielen Dienstreisen oder Eröffnungen von Standorten im Ausland. So war das auch schon bei mir, als ich ein Kind war. Dass Wirtschaftserziehung in Familien am Küchentisch stattfindet, kann ich bestätigen.
ZUR PERSON
Peter Mitterbauer leitete das Familienunternehmen Miba in der zweiten Generation und war von 1996 bis 2004 Präsident der Industriellenvereinigung. Das oberösterreichische Unternehmen produziert Teile für die Motoren- und Fahrzeugindustrie. In der IV setzte sich Mitterbauer intensiv für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ein.