Frau arbeitet an einer Maschine

Rennen um den besten Standort

Österreich basiert der Wohlstand auf der starken Industrie, die Arbeitsplätze schafft und sichert. Österreich ist am Weltmarkt bekannt und gefragt wegen der hohen Qualität bei Produkten und Services. Die Bedingungen dafür waren aber schon einmal besser: die Kosten für Energie und Arbeit sind hoch, Arbeitskräfte schwer zu finden und die Bürokratie überbordend. Was passiert, wenn die Produktion aus Österreich abzieht?

Über Europa zieht das Schreckgespenst der De-Industrialisierung seine Runden. Wie groß ist die Gefahr und was würde sie für Österreich bedeuten? Dass Österreich eines der wohlhabendsten und auch aus dieser Perspektive lebenswertesten Länder ist, hat zunächst vor allem mit den vielen internationalen Partnerschaften und Freundschaften zu tun, die es pflegt – und mit der starken Industrie, die es prägt. „Das ist nicht selbstverständlich und für den Wohlstand in Österreich hätte es fatale Folgen, diese Errungenschaften zu gefährden“, sagt Christian Helmenstein. Helmenstein ist Chefökonom der Industriellenvereinigung, die in Österreich rund 5000 Unternehmen zu ihren Mitgliedern zählt.

Nachdem Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg zwar zu einem unabhängigen, demokratischen Staat geworden war, aber eben zu einem vergleichsweise kleinen, war es dann die Eingliederung in die internationale Arbeitsteilung, die die Erfolgsgeschichte der österreichischen Wirtschaft auslöste. Zunächst Gründungsmitglied der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA, bemühte sich Österreich ab 1989 mit dem berühmten “Brief nach Brüssel” um Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft, aus der schließlich die EU wurde.

Im Jahr 1994, vor dem EU-Beitritt Österreichs, exportierte das Land noch Waren im Wert von umgerechnet 37 Milliarden Euro. Danach folgten mehrere Internationalisierungsschübe, welche die Exporte auf 195 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ansteigen ließen. Inflationsbereinigt entspricht dieser Wert nahezu einer Verdreifachung der österreichischen Exporte binnen 28 Jahren. Österreichs Wohlstand fußt auf diesem Fundament – jeder vierte Steuer-Euro geht in diesem Land auf den Export zurück. Maschinen, Fahrzeuge, chemische Erzeugnisse und andere verarbeitete Waren – täglich arbeiten rund eine Million Menschen in Industriebetrieben, die erzeugen, was dann zu einem großen Teil im Ausland verkauft wird.

Wachstumsmotor

Die Unternehmen der Gruppe stellen unter anderem Hochdruckventile und -Pumpen, Rohre sowie sowie Anlagen und Apparate für die Trocknungs- und Separationstechnik her und beliefern vor allem die petrochemische Industrie sowie die Papier- und Zellstoffindustrie. „Wir hatten in unserer Testanlage auch einmal ein Startup, das Essenzen aus Orangenschalen extrahiert“, erzählt die 36-jährige Firmenchefin, um die breite Palette der Anwendungen zu veranschaulichen.

Je nach Firma in unserer Gruppe haben wir einen Exportanteil von 70 Prozent bis 99 Prozent und es ist vor allem die Produktqualität und die hohe Fertigungstiefe, die unsere Kunden schätzen

Die Industrie hat in Österreich einen stärkeren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg als in vielen anderen Ländern in Europa – die Industriequote von 25 Prozent liegt über dem EU-Schnitt von 19 Prozent, ein Viertel der Erwerbstätigen in Österreich arbeitet in der Industrie, ein Viertel der Wertschöpfung passiert dort und die Hälfte der Forschungsausgaben werden von produzierenden Unternehmen gestemmt. Dass ein klarer Zusammenhang zwischen Industrie, Internationalität und Wohlstand besteht, lässt sich auch mit Zahlen belegen. „Es gibt einen systematischen Zusammenhang zwischen BIPWachstum, also materieller Prosperität, und dem Industrieanteil in den Ländern der EU. Je höher die Industriequote im Jahr 2021, desto höher auch das kumulierte BIP-Wachstum über ein Vierteljahrhundert hinweg”, erklärt Helmenstein. 

Foto: FACC/Gortana

Gleichzeitig zeigen Analysen der Weltbank bereits seit Jahren einen positiven Zusammenhang zwischen dem Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft und deren wirtschaftlichem Wachstum. Wenn jetzt seit Monaten und mit immer mehr Aufmerksamkeit über eine mögliche De- Industrialisierung Europas und Österreichs gesprochen wird, sollten also alle Alarmglocken schrillen.

„Wir dürfen die Industrie nicht verlieren”, bringt es der Ökonom auf den Punkt. Wie groß aber ist das Schreckgespenst einer solchen De-Industrialisierung überhaupt? Was müsste passieren, damit Unternehmen Produktionen ins Ausland verlegen? “Sie müssten einen Standort finden, der signifikant bessere Bedingungen bietet als Österreich oder Europa. Sonst ergibt es keinen Sinn, Produktionen an andere Orte zu verlegen, um den Output dann nach Europa zu reimportieren”, sagt Helmenstein und gibt zu bedenken: 

„Die Bedingungen anderer Standorte dürften zudem erst seit kurzer Zeit signifikant besser sein, sonst wäre nicht zu erklären, warum die Produktion überhaupt noch hier ist – es sei denn, die Unternehmen hätten einen modus vivendi gefunden, mit den Standortnachteilen umzugehen”. Vorübergehende Nachteile seien ebenfalls kein Grund, Produktionen zu verlagern. Concusio: Die Gefahr der De-Industrialisierung erwächst aus dauerhaften Standortnachteilen erheblichen Ausmaßes. 

„Made in Austria“ am Prüfstand

Derzeit bereiten österreichischen Unternehmen vor allem vier Faktoren Sorgen: der Arbeitskäftemangel, die Energiekosten, die Innovationskraft Europas und die hohe steuerliche, abgabenseitige und bürokratische Belastung Österreichs. „Die Qualität spielt für unsere Kunden eine große Rolle. Sie ist aber eine Grundbedingung. Entscheidend ist am Ende in fast allen Fällen der Preis. Wir spüren es am Weltmarkt bereits ganz unmittelbar, dass unsere Kosten höher zu sein scheinen, als jene des Mitbewerbs“, sagt Aichhorn. Ihre bestehenden Produktionen in der Steiermark, Oberösterreich und Niederösterreich bleiben dennoch in Österreich – einerseits, weil „Made in Austria“ aufgrund des Know-hows, das an diesen Standorten aufgebaut wurde. Bei komplett neuen Produktionen kann sich Aichhorn aber sehr wohl vorstellen, sie von Beginn an in anderen Ländern aufzubauen.

Die Kombination aus Energiepreisen und grüner Transformation erzwingt ja geradezu Innovation. Wenn man gezwungen ist, etwas zu tun, dann kommen Ideen und dann bewegt sich etwas. Das birgt enorme Chancen.

Österreichische Unternehmen, deren Produktion bereits jetzt breit global aufgestellt ist, können Produktionskapazitäten viel einfacher verlagern, wenn die Rahmenbedingungen an einem internationalen Standort besser sind, als an einem anderen. „Das geht nicht über Nacht, aber schleichend und es passiert schon. Wenn ein Unternehmen global aufgestellt ist, kann es sich natürlich auch global bewegen“, sagt Stefan Pierer, Chef der Pierer Mobility AG und damit des größten Herstellers motorisierter Zweiräder in Europa, zu dem bekannte Marken wie KTM, Husqvarna Motorcycles und GASGAS gehören. Produziert wird auch im oberösterreichischen Mattighofen, aber nicht nur – Pierer hat mit seiner Unternehmensgruppe auch Fertigungsstätten in Deutschland, der Slowakei, Bulgarien, den USA, China und, über einen Partner, in Indien.

Zu wenige Junge

Für die Frage, ob die aktuellen Problemfelder in Europa und Österreich eine De-Industrialisierung auslösen könnten, ist vor allem der Vergleich mit anderen Standorten relevant. In Österreich ist die Arbeitslosenquote auf das niedrigste Niveau seit 15 Jahren gesunken. „Wenn Unternehmen den Eindruck haben, keine Fachkräfte mehr zu finden, liegen sie richtig”, sagt Helmenstein. Besonders gut sichtbar wurde das in den vergangenen Monaten bei den Lehrstellen, also beim Fachkräfte-Nachwuchs der Industrie, die der zweitgrößte Lehrlingsausbildner Österreichs ist. Mit Ausnahme von Wien und Burgenland kamen zuletzt in allen Bundesländern weniger als ein Lehrstellensuchender auf eine offene Lehrstelle. 

In Tirol konnte, rein statistisch betrachtet, ein Lehrstellensuchender bereits aus sechs Lehrbetrieben wählen. Die Pierer-Industriegruppe bildet in Österreich rund 300 Lehrlinge aus und hat derzeit noch keine Schwierigkeiten, Lehrstellen zu besetzen. Das liegt an dem guten Ruf des Unternehmens als Ausbildungsstätte, aber auch an den coolen Motorrädern: „Bei 16-Jährigen haben wir es leicht mit unserem Produkt. Wir haben bei der Lehre bereits seit zwei Jahren einen immensen Zulauf “, erzählt Pierer. Im März habe es für hundert Lehrstellen 800 Bewerbungen gegeben.

Foto: FACC/Bartsch

Die Lage am österreichischen Arbeitsmarkt ist dennoch angespannt. „Wir spüren das sehr stark – vor allem bei hochqualifizierten Technikern wie Schweißern, Drehern oder Verfahrenstechnikern. Egal ob in der Forschung, der Fertigung oder der Konstruktion: Es dauert sehr lange, Stellen zu besetzen“, erzählt Aichhorn. Und es ist auch keine Entspannung absehbar, denn: „Erst in den kommenden Jahren greift die Phase des demografischen Wandels vollumfänglich. Dementsprechend werden wir in den kommenden Jahren bis 2030 einen massiven Rückgang der sogenannten ‚demografischen Fitness‘ sehen. Immer mehr Personen über 64 Jahren müssen von Personen im erwerbsfähigen Alter alimentiert werden”, sagt der IV-Chefökonom. Aber ist es anderswo wirklich besser als in Österreich?

Die USA sind für Österreich der wichtigste Exportmarkt außerhalb Europas. Dort lag die Arbeitslosenquote 2022 im Durchschnitt bei 3,6 Prozent, also noch niedriger als in Österreich mit einem Wert von 4,8 Prozent im Vorjahr. Zu Jahresbeginn erreichte die Arbeitslosenquote in den USA sogar den niedrigsten Stand seit mehr als 50 Jahren. Besonders überraschend sind die Werte für den mittleren Westen – dort lag die Arbeitslosenquote gar nur bei 2,1 Prozent. “Das entspricht nach allen Definitionen der Ökonomie absoluter Vollbeschäftigung”, so Helmenstein.

Wenn man in der Steiermark oder Oberösterreich keine Arbeitskräfte findet, wird man sie in den USA erst recht nicht finden. Die Zahl der offenen Stellen im Manufacturing hat sich in den USA von üblicherweise 200.000 auf 800.000 vervierfacht.

 Für Österreich sind die USA aber nicht der einzige wichtige außereuropäische Markt. Ein weiterer ist China, das auf Platz neun der wichtigsten Exportdestinationen Österreichs, nach Tschechien und etwa gleichauf mit Großbritannien, liegt. In Shanghai hat die regionale Arbeitslosenquote 2,5 Prozent erreicht. Und kaum irgendwo schlägt die demografische Herausforderung so heftig zu, wie in China. Die Bevölkerung im Erwerbsalter wird dort bis Ende des Jahrhunderts von einer Milliarde Menschen auf eine Viertelmilliarde sinken – das entspricht einem Minus von rund 75 Prozent beim Arbeitskräftepotenzial in den nächsten sieben Jahrzehnten. In China ist es also auch nicht leichter als in Österreich, Arbeitskräfte zu finden.

Hochqualifiziert

Für die Wettbewerbsfähigkeit ist zudem besonders bedeutsam, wie gut die jeweiligen Arbeitskräfte ausgebildet sind. Hier sieht der Ökonom Österreich im Vorteil: “Unsere Fachkräfte sind im Durchschnitt erheblich besser ausgebildet, als der durchschnittliche Industriearbeiter in den USA”,  sagt Helmenstein und verweist auf die Stärken der dualen Ausbildung –

Foto: Felix Steinreiber Productions

vor allem die Lehre ist ein Modell, dass sich sogar die USA aus Österreich abschauen wollen, wie ein Besuch des US-Arbeitsministers im Frühjahr gezeigt hat.Auch Pierer ist davon überzeugt, dass die Lehre einer der größten Standortvorteile ist – sie sei „ein Garant dafür, dass Deutschland, Österreich und die Schweiz in Europa nach wie vor die höchsten Industriequoten haben“. Unter dem Strich ist die angespannte Lage am Arbeitsmarkt in Österreich zwar ein erhebliches Problem, aber stellt im Vergleich mit anderen Regionen keine akute Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Standorte dar.

Kontinent der Erfinder

Sam Altman ist 38 Jahre alt, Multimillionär und Erfinder von ChatGPT. Seine Erfindung hat bei der Anwendung von Künstlicher Intelligenz das Eis gebrochen. ChatGPT formuliert in Marketingabteilungen auf der ganzen Welt Textentwürfe, macht Titelvorschläge, übersetzt Reden, hilft bei komplizierten Berechnungen und erzählt auf Wunsch Kinderwitze auf Latein. Fünf Tage nach der Veröffentlichung des Programms hatte es bereits eine Million Nutzer und ist damit jener Internetservice, der bisher am schnellsten diese Marke erreicht hat. Sam Altman ist in Missouri aufgewachsen und hat ChatGPT, beziehungsweise das dahinterliegende Sprachmodell, in den USA entwickelt. Ist Europa bei technologischer Innovation weit abgeschlagen? Helmenstein hält dem entgegen. Das deutsche Unternehmen Aleph Alpha habe eine Künstliche Intelligenz entwickelt, die nach den üblichen Metriken wesentlich effizienter agiert als ChatGPT. “Dieses Rennen ist nicht verloren, sondern gerade erst eröffnet”, sagt der Ökonom. Europa hat in Sachen Innovation Stärkefelder. Deutschland ist nach wie vor der innovativste Automobilstandort der Welt. Gemessen wird das an der Erfinderdichte, also der Zahl der Patente pro tausend Einwohner. Auf Deutschland folgt Luxemburg mit dem globalen Forschungszentrum des nordamerikanischen Reifenherstellers Goodyear, dann Südkorea und Japan, und auf Platz fünf in diesem Ranking landet bereits die österreichische Automobilindustrie, obwohl sie keinen eigenen Original Equipment Manufacturer (OEM) mehr aufweist. Die Automobilbranche befindet sich derzeit bekanntermaßen in einer großen Transformation – ist die Industrie in Österreich auch darauf vorbereitet?

Sehr gut sogar, wie Helmenstein belegt: „Während wir im Innovationsbereich unsere traditionellen Stärken bei Verbrennungsmotoren weiterhin pflegen, implementieren wir bereits höchst erfolgreich die neuen Antriebstechnologien, und zwar mit überdurchschnittlicher Innovationskraft nach Maßgabe der Patentanmeldungen. Genau so soll es sein, wenn sich eine Wirtschaft mitten in einem Transformationsprozess befindet”. Einen gewichtigen Grund für die hohe Forschungsintensität sieht Unternehmer Pierer neben gut ausgebildeten Menschen auch in der Ausrichtung der Förderlandschaft.

Foto: Felix Steinreiber Productions

In bestimmten Bereichen Weltmarktführer zu sein, ist forschungsintensiv und die Forschungsprämie mit vergleichsweise hohen 14 Prozent ein Grund dafür, dass es in Österreich viele „Hidden Champions“ am Weltmarkt gibt.

Noch weiter vorne als im Automobilsektor ist Österreich in der Bahntechnologie positioniert. Hier weist Österreich gemessen an der Größe der Bevölkerung sogar die höchste Erfinderdichte weltweit auf – mit großem Abstand vor der Schweiz und Deutschland. Jährlich werden in Österreich von 200 unterschiedlichen Personen eisenbahnbezogene Patente angemeldet. „Wir haben einen Weltbevölkerungsanteil von 0,112 Prozent, aber einen Weltmarktanteil beim Export von Schienenfahrzeugen von siebeneinhalb Prozent”, veranschaulicht Helmenstein. „Das bedeutet, Österreich erreicht beim Export von Eisenbahntechnologie einen Weltmarktanteil der circa siebzig Mal so hoch liegt wie sein Weltbevölkerungsanteil. Das ist eine phänomenale Leistung!“

Energieintensiv

Weitaus problematischer ist hingegen die Lage für Europa und Österreich bei den Energiepreisen. Zuletzt lag der Preis für Erdgas im Großhandel in Europa bei rund 40 Euro pro Megawattstunde – infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine durchbrachen die Preise zeitweise sogar die Marke von 300 Euro pro Megawattstunde. Als der Preis in Europa gerade bei 120 Euro angesiedelt war, wurde im interkontinentalen Vergleich in den USA ein Preis von umgerechnet 19 Euro und in China von 22 Euro pro Megawattstunde Gas aufgerufen. In den USA ist Gas schon lange wesentlich billiger als in Europa, aber: Laut Helmenstein ist es ein wesentlicher Unterschied, ob Unternehmen in Österreich das Dreifache oder das Sechsfache bezahlen müssen, als Unternehmen in den USA, und dies dann noch auf einem allgemein höheren Preisniveau. „Fünf bis sechs Mal so hohe Energiepreise sind für die energieintensive Industrie Europas und Österreichs nicht durchzuhalten”. Die hohen Energiepreise wirken sich aber auch auf weniger energieintensive Produktionen wie jener von Julia Aichhorn aus: „Wir spüren das indirekt, weil Rohmaterialien wie etwa Stahl aus Europa infolge der Energiepreise teurer sind“.

Ähnlich ungünstig für den österreichischen Wirtschaftsstandort ist die hohe abgabenbezogene und bürokratische Belastung. Österreich ist ein Hochsteuerland. Die Abgabenquote ist mit 43,5 Prozent die vierthöchste in der EU und liegt damit deutlich über dem EU-Durchschnitt. Damit einher gehen auch Vorteile, allen voran ein verlässliches System der sozialen Sicherung. „Aus der Perspektive vieler privater Haushalte muss eine hohe Abgabenquote daher nicht unbedingt nachteilig sein, unter Wettbewerbs-Gesichtspunkten ist sie allerdings hochproblematisch”, sagt Helmenstein. Denn für die Exportindustrie zählt am Ende die landesspezifische Kostenbasis, wenn es darum geht, auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu bleiben.

Foto: FACC/Bartsch

Ähnlich ungünstig für den österreichischen Wirtschaftsstandort ist die hohe abgabenbezogene und bürokratische Belastung. Österreich ist ein Hochsteuerland. Die Abgabenquote ist mit 43,5 Prozent die vierthöchste in der EU und liegt damit deutlich über dem EU-Durchschnitt. Damit einher gehen auch Vorteile, allen voran ein verlässliches System der sozialen Sicherung. „Aus der Perspektive vieler privater Haushalte muss eine hohe Abgabenquote daher nicht unbedingt nachteilig sein, unter Wettbewerbs-Gesichtspunkten ist sie allerdings hochproblematisch”, sagt Helmenstein. Denn für die Exportindustrie zählt am Ende die landesspezifische Kostenbasis, wenn es darum geht, auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu bleiben.

Fragt man die beiden Unternehmer, ist das eine der größten Herausforderungen für den Produktionsstandort. Die Kosten für den Faktor Arbeit betragen in anderen Ländern zum Teil nur einen Bruchteil des Niveaus Österreichs. Etwa in Bulgarien. Dort hat auch Pierer eine Produktion und ist überzeugt, dass es dort noch große Potenziale gibt: „Bulgarien ist eines der europäischen Länder, die man sich genau ansehen sollte. In der Coronazeit sind viele Arbeitskräfte, die bei uns und in anderen europäischen Ländern gearbeitet haben, nach Bulgarien zurückgekehrt und dortgeblieben. Sie sind gut ausgebildet“, sagt Pierer. Als er vor vier Jahren in das Elektrofahrradgeschäft eingestiegen ist, hat er die entsprechende Fertigung von Beginn an in Bulgarien aufgebaut. „In Österreich konzentrieren wir uns auf High-End-Geländemotorräder und aufwändige, teure Modelle“, erzählt Pierer. Die übrige Motorrad-Palette wird bereits in Indien und China hergestellt. 

Der nächste Aufschwung

Auch Ökonom Helmenstein ist überzeugt, dass Lösungen für die beiden zentralen Problemfelder – Energiekosten und Abgabenbelastung – zwingend notwendig sind, um den Industriestandort und damit den Wohlstand in Europa zu erhalten. Falls dies gelinge, sei der nächste Aufschwung in Österreich dieses Mal nicht zum überwiegenden Teil von externen Impulsen abhängig. Allein die österreichischen Pläne zum Umbau des Energiesystems würden für einen solchen Aufschwung ausreichen. Würden die Vorgaben und Ziele des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) in Österreich bis 2030 erfüllt, dann würde das ein zusätzliches Investitionserfordernis von über 50 Milliarden Euro auslösen. Zum Vergleich: Das Investitionsvolumen der gesamten österreichischen Industrie liegt derzeit bei rund 8,3 Milliarden Euro pro Jahr. „Die Kombination aus Energiepreisen und grüner Transformation erzwingt ja geradezu Innovation. Wenn man gezwungen ist, etwas zu tun, dann kommen Ideen und dann bewegt sich etwas. Das birgt enorme Chancen“, ist Pierer zuversichtlich. „Der Aufschwung wird dann beginnen, wenn mutige Unternehmerinnen und Unternehmer mit verlässlichen Finanzierungspartnern und einer rationalen, lösungsorientierten Wirtschaftspolitik zusammenkommen”, ist Helmenstein überzeugt.