Die neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS war gleich am Tag der Angelobung mit einer Hiobsbotschaft konfrontiert: 2024 ist die Wirtschaftsleistung in Österreich um 1,2 Prozent zurückgegangen – zwei Jahre Rezession und immer noch keine Besserung in Sicht. Ökonomen sprechen hinter vorgehaltener Hand bereits von einem drohenden dritten Jahr des Abschwungs. Die Koalition, die ohnehin schon schwer zueinandergefunden hat, steht nun also vor der Herausforderung, darauf rasch Antworten finden zu müssen; und das alles vor dem Hintergrund eines enormen Spardrucks. Vom Ziel, ein Defizitverfahren der EU abwenden zu wollen, ist man nicht abgerückt, und das bedeutet nach wie vor, dass heuer 6,4 Milliarden Euro eingespart werden müssen, und kommendes Jahr noch etwas mehr.
Dementsprechend stehen viele Maßnahmen im Arbeitsprogramm der Regierung unter „Budgetvorbehalt“, sprich: Sie werden nur umgesetzt, wenn sie finanzierbar sind, und das sieht derzeit schlecht aus. Dass das Regierungsprogramm tatsächlich als Arbeitsprogramm zu verstehen ist, wird schnell klar, wenn man die 211 Seiten durchblättert: Die meisten Punkte sind vage formuliert, oft gerade mal als vorsichtige Absichtserklärung. Viele wichtige Punkte, die durchaus die Herausforderungen der Wirtschaft adressieren, müssen noch am Weg erarbeitet und konkretisiert werden. Während zusätzliche Belastungen bereits ausformuliert sind, bleibt es bei Entlastungen bei Ankündigungen.
Die Industrie befindet sich in einer trostlosen Situation und ist noch weit entfernt von einem Aufschwung – zu diesem Ergebnis kommt das jüngste Konjunkturbarometer der Industriellenvereinigung unter Federführung von IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Seit dreieinhalb Jahren melden Industrieunternehmen im Rahmen des IV-Konjunkturbarometers bei der aktuellen Geschäftslage keinerlei Aufwärtsbewegung, nicht einmal eine kurze Episode des Atemholens – die bisher mit Abstand längste Rezessionsphase, seit der Indikator erhoben wird. Der Ausblick auf das erste Halbjahr 2025 wird zwar nicht mehr so negativ beurteilt wie noch ein Quartal davor, aber auch hier verharrt der Wert weiterhin unter null.
Es sei eine regelrechte Erosion der Wettbewerbsfähigkeit zu verzeichnen – im Ergebnis sind in nur zwei Jahren sieben Prozent an industrieller Wertschöpfung verloren gegangen. Bei gleicher Verteilung würde das rein rechnerisch bedeuten, dass jede 15. Betriebsstätte aufgrund von Unterauslastung, Marktaustritt durch Insolvenz oder Verlagerung ins Ausland leer steht. Im Dezember ist die Industrieproduktion sogar um 9,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Für den Wohlstand in Österreich sei das eine existenzielle Bedrohung, so Helmenstein.
Industrie-Krise mit Folgen
Die Auswirkungen der Deindustrialisierung beschränken sich keineswegs nur auf die Industrie an sich. „Eine Krise in der Industrie hat weitreichende Folgen“, sagt Helmenstein. „Von den kräftigen Produktivitätszuwächsen der Vergangenheit, dem überdurchschnittlichen Lohnniveau in der Industrie und den wieder preisstabilen Industrieprodukten profitierte Österreich in vielfältiger Weise. Aufseiten der privaten Haushalte ermöglicht industrieller Erfolg höhere Einkommen und eine gestärkte Kaufkraft, während der tertiäre Sektor Impulse aus der zusätzlichen Nachfrage nach Dienstleistungen erhält. Eine schrumpfende Industrie führt daher zu wirtschaftsweiten Einbußen erheblichen Ausmaßes.“
Dies ist durchaus auch der Regierung bewusst, denn zumindest findet sich bereits in der Präambel ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Österreich. Eine Industriestrategie soll noch bis zum Ende des Jahres auf dem Tisch liegen. Die Gefahr der Deindustrialisierung wird im Regierungsprogramm thematisiert, und es ist vom dadurch drohenden Verlust von Wohlstand die Rede.
Die hohen Energiepreise
Eine der zentralen Herausforderungen sind die hohen Energiepreise. Die Industrie zahlt in Europa derzeit für Strom etwa zwei- bis dreimal so viel wie Unternehmen in den USA und bei Gas sogar fünf- bis sechsmal so viel. Eine kurzfristige Entlastung ist gemäß Regierungsprogramm zunächst kaum absehbar. Eine Verlängerung der bereits 2022 ausgelaufenen Strompreiskompensation wird zwar erwähnt, aber ohne konkreten Umsetzungsplan. Die EU ermöglicht Mitgliedsstaaten seit 2010 die Kompensation indirekter CO₂-Kosten von Unternehmen zum Schutz vor „Carbon Leakage“. Dadurch soll die Verlagerung von Emissionen in Drittstaaten ohne CO₂-Preis verhindert werden; und damit auch die Abwanderung von Produktionen. In Österreich wurde die Strompreiskompensation in Form des Strompreiskostenausgleichsgesetzes (SAG) umgesetzt und erst 2023 beschlossen – jedoch nur rückwirkend für das Jahr 2022. In 15 EU-Ländern wurde die Kompensation längst bis 2030 verlängert – in Österreich ist das weiterhin ausständig.
Auf längere Perspektive gibt es für den Energiebereich einige bessere Nachrichten im Regierungsprogramm: Geplant sind etwa eine Verfahrensbeschleunigung bei Genehmigungen und der Ausbau von Wasserstoff- und Stromnetzen. Es gibt eine Wasserstoffstrategie und auch Vorgaben zur Speicherung von Wasserstoff, um den Anschluss an die europäische Energiewende nicht zu verlieren. Die Belastung von Energieunternehmen durch eine Abgabe darf hingegen kaum als Beschleuniger der Energiewende verstanden werden – das Geld könnte für den Ausbau erneuerbarer Energie besser verwendet werden.
Lohnnebenkosten-Senkung? Bitte warten!
Ein weiterer Hemmschuh für Unternehmen sind die hohen Arbeitskosten. Seit Langem gibt es daher die Forderung nach niedrigeren Lohnnebenkosten – diese machen in Österreich laut Eurostat 2023 rund 27 Prozent der Arbeitskosten aus. Damit landet Österreich im EU-Vergleich auf Platz fünf. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei 23 Prozent, während er in Dänemark lediglich 13 Prozent beträgt. Gleichzeitig waren Unternehmen in Österreich im vergangenen Jahr mit einem der stärksten Lohnanstiege innerhalb der Eurozone konfrontiert: Während die Löhne pro Kopf laut Europäischer Kommission in Österreich um 7,3 Prozent zunahmen, waren es in Deutschland 4,8 Prozent und im Durchschnitt der Eurozone 4,3 Prozent. Laut Regierungsprogramm ist eine Senkung der Lohnnebenkosten zwar vorgesehen, aber unter Vorbehalten einer entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und budgetärer Möglichkeiten frühestens ab 2027.
Hoffnung auf Entbürokratisierung
Grundsätzlich sind in dem Programm kaum kurzfristige Konjunkturimpulse zu finden. Eine Möglichkeit, Investitionsanreize zu setzen, wären beschleunigte Abschreibungen gewesen, die nun nur teilweise für die Baubranche kommen. Nicht budgetwirksam wäre eine Entlastung im Bereich der hohen Bürokratiekosten – die Hoffnung ruht nun auf der Arbeit der eigenen Deregulierungsstelle, die in Form eines Staatssekretariats im Außenministerium eingerichtet wurde.
Siemens-Austria-Chefin Patricia Neumann sieht darin sogar ihr Hauptanliegen: „Was ursprünglich zu mehr Transparenz beitragen sollte, hat inzwischen Ausmaße angenommen, die in keinem Verhältnis mehr zum Gewinn an Information oder Klarheit stehen. Vor allem kleinere Unternehmen tun sich immer schwerer mit der Flut an Berichtspflichten und Regelungen. Allein im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich wurden in den letzten Jahren unglaubliche 850 neue Regelungen erlassen – das sind mehr als 5.000 Seiten an Rechtsvorschriften, die unsere Unternehmen umsetzen müssen.“
Gleichzeitig berge die digitale und grüne Doppeltransformation aber auch Chancen. Siemens hat dafür mit dem „Xcelerator“-Programm eine eigene Plattform entwickelt, über die mit Unternehmen von Startups bis zur etablierten Industrie gemeinsam an Transformationsprojekten gearbeitet wird. „Wir haben in Österreich eine starke Industrie, teilweise in sehr spezialisierten Nischen, eine sehr gute Forschungslandschaft, ein gut ausgebautes Netzwerk von Universitäten und Fachhochschulen und vieles mehr. Was wir allerdings wieder mehr brauchen, ist der Blick nach vorne und der Wille zur Veränderung. Veränderung heißt aber auch Loslassen – wir können uns nicht mehr auf den Leistungen der Vergangenheit ausruhen, sondern müssen vieles wieder neu denken und uns auf unsere Stärken konzentrieren“, sagt Neumann.
Österreich als Forschungsland zu stärken ist im Regierungsprogramm durchaus geplant: Bis 2030 soll die Forschungsquote auf vier Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Die für den Standort wichtige Forschungsprämie bleibt erhalten. Und schließlich wird auch in die Elementarbildung investiert, die nachweislich ein starker Hebel für Bildung und Qualifizierung ist. „Letztendlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, auch im Bereich Forschung und Entwicklung, wo sich Siemens Österreich mit 580 Stellen auch innerhalb des Siemens-Konzerns stark positioniert hat. Unter diese Rahmenbedingungen fällt natürlich: Habe ich die Möglichkeit, die richtigen Leute zu bekommen? Habe ich vielleicht auch ein entsprechendes Ecosystem aus Industriepartnern bzw. Startups für Co-Innovation? Und natürlich auch immer die Frage nach der finanziellen Attraktivität, also einem ausbalancierten F&E-Fördersystem“, so Neumann.
Teilnehmen am weltweiten Wachstum
Österreichs wirtschaftlicher Erfolg fußt in weiten Teilen auf den Erfolgen im Export. Österreichs Unternehmen sind derzeit allerdings kaum in der Lage, am weltweiten Wachstum teilzuhaben: Die globale Wirtschaft wächst laut Internationalem Währungsfonds heuer um voraussichtlich über drei Prozent – die österreichische Wirtschaft befindet sich hingegen in der längsten Rezession der Zweiten Republik. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2024 um 1,2 Prozent geschrumpft; das ist ein stärkerer Rückgang als lange gedacht. Bereits im Jahr davor war die Wirtschaftsleistung um 1,0 Prozent zurückgegangen. Die Exportquote ist in den letzten zwei Jahren um fünf Prozentpunkte – und zwar von 62 Prozent auf 57 Prozent – gefallen.
Die Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump, Importzölle zu erhöhen, sorgen für weitere Unsicherheit. Dass es nicht nur beim Säbelrasseln bleibt, haben die USA mit der teilweisen Inkraftsetzung von Zöllen in der Höhe von 25 Prozent gegenüber ihren wichtigsten Handelspartnern, Kanada und Mexiko, bereits bewiesen. Die USA sind derzeit eine der wenigen Destinationen, bei denen Österreichs Exporteure den Wert der abgesetzten Güter vergangenes Jahr noch nennenswert steigern konnten.
Ein großes Problem ist auch, dass die Wertschöpfungstiefe in Österreich in einigen Leitbranchen seit Jahren abnimmt. Das bedeutet, dass in Österreich immer weniger vor Ort produzierte Komponenten verbaut werden – eine Entwicklung, die auch gesamteuropäisch zu beobachten ist. „Wir dürfen nicht zu Assemblern werden, die Vorprodukte zusammenbauen und mit einem Markenlogo versehen“, mahnt Helmenstein. „Europa und Österreich benötigen einen disruptiven wirtschaftspolitischen Kurswechsel.“