Interview: "Die große Sause des Geldverteilens ist vorbei"

Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn im Interview: Wurden beim ersten Sparpaket die richtigen Akzente gesetzt – und wie lassen sich die nächsten Milliarden heben?

Was sind wichtige Grundsätze einer Budgetsanierung in Zeiten von Rezession, Stagnation oder Mini-Wachstum? Gibt es ein gelungenes historisches Beispiel?
Franz Schellhorn: Der zentrale Grundsatz ist, dass kein Budget mit höheren Einnahmen zu sanieren ist, wie der italienische Ökonom Alberto Alesina eindrucksvoll bewiesen hat. An gelungenen Beispielen fehlt es nicht: Nehmen wir nur Schweden, das in den 1990er-Jahren durch Ausgabenkürzungen wieder in die Spur gefunden hat. In jüngerer Zeit wäre Griechenland zu nennen, oder ganz aktuell Argentinien: Dort wurden die Staatsausgaben kräftig gekürzt; bereits im ersten Jahr weist das Land einen Budgetüberschuss aus und heuer wird die argentinische Wirtschaft laut IWF um fünf Prozent wachsen.

In Österreich wird nicht nur ausgabenseitig gespart – es sind mit einer Abgabe für Banken und Energieunternehmen auch deutliche Mehrbelastungen geplant. Wurden die richtigen Akzente gesetzt?
Aus Sicht der SPÖ auf jeden Fall. Bevor die erste Ausgabenkürzung fixiert wird, beginnt die neue Regierung mit ihrem Linksaußen-Finanzminister Markus Marterbauer ihre Amtszeit gleich einmal mit höheren Energiesteuern – und das bei rekordhohen Strompreisen. Hinzu kommen Sonderabgaben für Banken, die aus Sicht der Politik zu viel verdienen – statt sich darüber zu freuen, dass die Banken gut wirtschaften und die Steuerzahler nicht wieder zu deren Rettung ausrücken müssen. Das Signal für alle Investoren ist unmissverständlich: Keine gut verdienende Branche ist vor dieser Regierung sicher. Und vergessen wir nicht den neuen Mietsozialismus: Das strengste Mietgesetz außerhalb Havannas wird noch einmal empfindlich verschärft, die Vermieter werden von der Regierung um 140 Mio. im Jahr erleichtert. ÖVP und Neos tragen diesen Linksruck geräuschlos mit – kaum zu glauben, aber wahr.

Bei welchen Maßnahmen wäre „mehr drin“ gewesen?
Auf jeder der 211 Seiten des Regierungsprogramms wäre mehr drinnen gewesen. Was sich die Bevölkerung aber zumindest erwarten durfte, wäre eine entschlossene Budgetsanierung über die Ausgabenseite gewesen. Die Republik hat die Staatsausgaben seit 2019 von 49 Prozent des BIP auf 54 Prozent hochgetrieben – mit dem Ergebnis, dass das Land vor dem dritten Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung steht. Man hätte sich zumindest von ÖVP und Neos erwarten können, dass sie eine Ausgabenbremse für den Staat durchbringen; um sicherzustellen, dass sich die Staatsausgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung wieder auf das Vorkrisenniveau zurückbewegen. Allein das würde Mehrausgaben in Höhe von 25 Mrd. einsparen, womit für Österreich Budgetüberschüsse in Sicht wären.

Können alle Maßnahmen rechtzeitig umgesetzt werden, um die versprochenen Volumina zu erzielen?
Die Steuererhöhungen werden mit Sicherheit rasch und zügig umgesetzt, ein Defizitverfahren ist aus meiner Sicht aber nicht mehr zu verhindern. So gut wie alles, was an gebremsten Ausgaben geplant ist, wurde ja noch nicht einmal ausverhandelt. Das Vorhaben, das Wachstum der Staatsausgaben um sechs Mrd. Euro zu bremsen, ist lächerlich. Das sind gerade einmal 2,2 Prozent der Staatsausgaben. Jedes Unternehmen würde ob dieser Größenordnung nur müde lächeln, aber die Politik macht daraus eine Herkulesaufgabe.

Das Sparpaket für heuer ist auf 6,4 Mrd. Euro ausgerichtet. Das genügt, um ein Defizitverfahren abzuwenden. Wie hoch wäre der Sparbedarf aber eigentlich wirklich?
Mit 6,4 Mrd. Euro landet Österreich haarscharf unter der Defizitgrenze, wobei ich daran zweifle, dass dem so sein wird. So werden die Sonderdividenden staatlicher Unternehmen nicht Maastricht-relevant sein. Aber selbst dann bleiben noch 18 Mrd. übrig, die Österreich von einem ausgeglichenen Haushalt trennen. Das Problem sind die strukturellen Defizite, allen voran das schwer defizitäre Pensionssystem. Mit halbherzigen Schritten werden wir da nicht weit kommen.

Wo beziehungsweise wie könnten aus Ihrer Sicht die nächsten Milliarden eingespart werden?
Die größten Potenziale liegen klar bei den Pensionen, den Förderungen und der Verwaltung. Konkret: Das Pensionssystem braucht eine Anhebung des Antrittsalters und ein Ende der Frühpensionen. Bei den Förderungen könnten bis zu acht Mrd. eingespart werden, wenn man sie effizienter und zielgerichteter gestaltet. Und in der Verwaltung braucht es eine umfassende Digitalisierung und den Abbau von Parallelstrukturen; das könnte ebenfalls Milliarden freisetzen.

Die Mittelfrist-Prognosen zeigen für Österreich in den kommenden Jahren ein eher geringes Wirtschaftswachstum an – könnten wir das durch Sparpakete komplett verspielen?
Sparpakete würden das Wachstumspotenzial nicht verspielen, sondern erweitern. Ein sanierter Haushalt und ein zurückgedrängter Staat würden den Glauben der Wirtschaft an den Standort stärken. Niemand hat Verständnis dafür, dass man bei Staatsausgaben von 54 Prozent der Wirtschaftsleistung wieder in die Taschen der Bürger greift – nur weil die Regierung zu feig ist, das Land mit seinen überkommenen Strukturen grundlegend zu erneuern und der Bevölkerung in aller Offenheit zu sagen, dass die große Sause des Geldverteilens vorbei ist.

Könnte die EU heuer unter Umständen doch noch ein Defizitverfahren eröffnen?
Das hängt davon ab, ob die angekündigten Sparmaßnahmen tatsächlich jetzt auch so umgesetzt werden. Im Frühjahr wird erneut geprüft. Wir sollten uns aber weniger vor den Brüsseler Behörden fürchten als vor den Finanzmärkten. Die zentrale Frage ist: Wie lange und zu welchen Konditionen werden uns ausländische Investoren noch Geld leihen, damit wir weiter ungehindert mit 61 in Frühpension gehen können?


Zur Person

Franz Schellhorn leitet Agenda Austria seit dem Start im Jahr 2013. Davor war er 15 Jahre als Journalist bei der Tageszeitung „Die Presse“ tätig und leitete dort acht Jahre lang die Geschicke des Wirtschaftsressorts. Er schreibt regelmäßig Kolumnen für „Die Presse“ und „profil“.