Herr Knill, die neue Bundesregierung hat ihr Regierungsprogramm vorgestellt. Was ist Ihr erster Eindruck?
Georg Knill: Grundsätzlich enthält das Regierungsprogramm einige positive Ansätze, insbesondere in den Bereichen Bildung, Forschung, Innovation und Infrastruktur. Die geplante Anhebung der Forschungsquote auf über vier Prozent des BIP, die Beschleunigung der notwendigen Verfahren zum Ausbau der Energienetze sowie Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung sind Schritte in die richtige Richtung. Doch während diese Maßnahmen wichtig sind, fehlt es an einer ebenso klaren Strategie zur Entlastung der Unternehmen.
Österreich hat eines der höchsten Steuer- und Abgabenniveaus weltweit – das bremst Investitionen und schwächt die Wettbewerbsfähigkeit. Bei allem Verständnis für die Budgetsanierung: Anstatt zusätzliche Belastungen einzuführen, müsste der Fokus auf spürbaren Entlastungen für Wirtschaft und Industrie liegen. Unternehmen brauchen Spielraum, um zu investieren, Innovationen voranzutreiben und Arbeitsplätze zu sichern. Hier bleibt das Regierungsprogramm noch vage – es fehlen klare Maßnahmen, um Arbeits- und Energiekosten nachhaltig zu senken.
Wachstum war in Österreich lange selbstverständlich. Was hat sich geändert?
Österreich hatte über viele Jahre hinweg eine starke Exportwirtschaft mit hohem Wachstum, niedriger Arbeitslosigkeit – das ist auch darauf zurückzuführen, dass Österreich lange ein attraktiver Standort für Investitionen war. In der Zeit nach dem EU-Beitritt hat Österreichs Wirtschaft und Industrie hier besonders profitiert. Heute sehen wir leider ein ganz anderes Bild: Die Industrieproduktion ist eingebrochen, die Exportquote sinkt und die Nettoinvestitionen tendieren gegen null. Während andere Länder gezielt Wachstumsimpulse setzen, droht Österreich das dritte Rezessionsjahr in Folge. Wir verlieren den Anschluss an das globale Wirtschaftswachstum.
Woran liegt das?
Wir sehen eine Kombination aus notwendigem Krisenmanagement und nicht angegangenen strukturellen Reformen, dazu kommen gesellschaftliche und geopolitische Entwicklungen, auf die seitens der EU häufig mit neuen Vorgaben und Regelungen – Green Deal, Lieferkettengesetz – reagiert wurde. Darauf hat sich über die letzten Jahre ein regelrechter Bürokratie-Tsunami entwickelt.
Dazu kommen auf nationaler Ebene hohe Lohnstückkosten und teure Energiepreise. Ergänzend dazu leben wir in Zeiten unsicherer politischer Rahmenbedingungen, die notwendige Investitionen erschweren. Österreich hat eines der höchsten Abgaben- und Steueraufkommen weltweit – das ist Gift für die Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig fehlt es an entschlossenen Reformen, um den Standort nachhaltig zu stärken.
Welche Maßnahmen wären jetzt notwendig, um den Wirtschaftsstandort zu sichern?
Erstens brauchen wir einen klaren Pfad zur Senkung der Lohnnebenkosten. Die Ankündigung im Regierungsprogramm sieht keine genaue Ausgestaltung vor und steht unter Budgetvorbehalt, Unternehmen brauchen aber Planungssicherheit, um notwendige Schritte zu setzen. Ohne eine spürbare Senkung der Lohnstückkosten sind Arbeitsplätze gefährdet und Investitionen wandern ins Ausland ab.
Zweitens müssen die Energiepreise auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden – dazu gehört eine klare Verlängerung der Strompreiskompensation. Drittens braucht es echte Deregulierung mit verbindlichen Zielen, um Bürokratiekosten zu senken. Nicht zuletzt muss Österreich jedoch gezielt in Innovation, Forschung und Bildung investieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben – in diesem Bereich sind einige wichtige Maßnahmen im Regierungsprogramm vorgesehen.
Die Energiepreise sind ein Dauerthema für die Industrie – welche Lösungsvorschläge gibt es?
Die Industrie zahlt in Europa für Strom zwei- bis dreimal, für Gas sogar drei- bis fünfmal so hohe Preise wie in den USA. Das ist eine massive Wettbewerbsverzerrung; Österreich hatte auch bisher immer mit höheren Energiepreisen zu kämpfen. Um wettbewerbsfähig auf den Weltmärkten anbieten zu können, muss sich der Unterschied zu den Mitbewerbern jedoch in einem überschaubaren Ausmaß bewegen.
Wie gesagt: Eine sofortige Verlängerung der Strompreiskompensation bis 2030 wäre ein wichtiger erster Schritt. Zudem müssen wir langfristig sicherstellen, dass die Energieversorgung stabil und leistbar bleibt. Dazu braucht es neben den Rahmenbedingungen zur Kostensenkung auch eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Wie bewerten Sie die Maßnahmen zur Bürokratie-Entlastung?
Die Ankündigungen gehen in die richtige Richtung, wie schon angesprochen – etwa die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle und ein Bürokratiekostenbericht; auch der eingesetzte Staatssekretär für Entbürokratisierung ist ein erstes Signal. Aber es fehlen verbindliche Zielvorgaben und vor allem konsequente Umsetzungsschritte. Der Bürokratieabbau darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern muss sich in konkreten Erleichterungen für Unternehmen niederschlagen. Wir fordern deshalb ein verbindliches „One in, one out“-Prinzip für neue Regulierungen und einen Bürokratiekostenindex, um die Entlastung auch messbar zu machen.
Das Regierungsprogramm spricht viele dieser Themen an. Warum reicht das nicht?
Österreich befindet sich in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit und die Unternehmen erwarten von der Regierung nicht nur Ankündigungen, sondern auch konkrete Umsetzungsschritte. Auch bei der Energiepolitik gibt es große Unsicherheiten. Hier bräuchte es ein klares Bekenntnis zur langfristigen Sicherung wettbewerbsfähiger Energiepreise. Insgesamt fehlen konkrete Entlastungen für Unternehmen, während Belastungsvorhaben klar definiert sind. Das ist ein Problem, denn Österreich braucht dringend Wachstumsimpulse – hier lässt das Regierungsprogramm auch Investitionsanreize für den privaten Sektor vermissen.
Sie sprechen viel von Reformen. Wie realistisch ist deren Umsetzung?
Das hängt vom politischen Willen ab. Es gibt jetzt die Chance, mutige Reformen anzugehen. Viele sind leider kaum bis gar nicht angesprochen – zum Beispiel Aufgaben wie eine Föderalismusreform, eine Gesundheits- und eine echte Pensionsreform. Diese sind fast vollständig ausgespart, obwohl es hier enorme Effizienzpotenziale für die Menschen im Land gäbe! Unternehmen brauchen eine verlässliche Entlastung bei Arbeits- und Energiekosten, weniger Bürokratie und gezielte Investitionsanreize.
Die Politik muss den wirtschaftlichen Ernst der Lage erkennen und entschlossen handeln. Nur so kann unser Standort langfristig erfolgreich bleiben.
Wenn die Regierung bereit ist, Standortpolitik konsequent in den Mittelpunkt zu stellen, dann kann Österreich wieder zu einem wirtschaftlichen Vorbild werden. Aber das Zeitfenster für Maßnahmen schließt sich – wir müssen jetzt handeln.