Energiekosten richtig senken!

Die hohen Energiekosten sind für den Standort eine existenzielle Gefahr. Für die Industrie und ihre rund eine Million Mitarbeiter braucht es rasche Entlastung sowie mittel- und langfristige Perspektiven.

Die aktuelle Situation lässt sich nicht beschönigen: „Viele Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand. Der russische Überfall auf die Ukraine hat uns deutlich vor Augen geführt, wie sehr wir von russischem Gas abhängig sind – und wie international eng vernetzt die europäische Industrie und Wirtschaft arbeiten. Beeinträchtigte oder abgerissene Lieferketten, sinkende Nachfrage und Investitionen sowie eine massive Unsicherheit, wie es weiter geht – das ist Gift für Industrie und Standort“, bringt IV-Präsident Georg Knill den Status quo auf den Punkt. Um das Ausmaß zu verdeutlichen: Die Kosten für Gas liegen derzeit beim siebenfachen des Vorkrisenniveaus 2019, der Strompreis beim fünffachen. Und auch im EU-Vergleich steht Österreich schlechter da: So sind die Kosten für Strom um etwa 15 Prozent teurer als in Deutsch- land. Am Ball ist jetzt die Politik: „Wenn die Politik nicht gegensteuert, werden wir unsere Industrie und damit unseren Wohlstand in der heutigen Form so nicht aufrechterhalten können“, so Knill, der auch auf einen entsprechenden „Offenen Brief“ verweist, den die Industriellenvereinigung Ende März an Energieministerin Leonore Gewessler gerichtet hat.

Wir unterstützen die notwendige grüne Transformation, brauchen dafür aber auch wirksame Unterstützung durch die Politik.

Österreichs Produktionssektor und seine rund eine Million Mitarbeiter brauchen rasche Entlastung und eine langfristige Perspektive. Ein möglicher Ausfall russischer Gaslieferungen, wie er Ende März und Anfang April drohend im Raum stand, hätte verheerende Auswirkungen auf die österreichische Volkswirtschaft:„Ohne Stahl keine Autoproduktion, ohne Papier keine Verpackung für Lebensmittel oder Medikamente. Kurzfristig gibt es keine Alternative zu russischem Gas, mittelfristig müssen wir diversifizieren, langfristig erneuerbare Energien ausbauen“, stellt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer klar. Die Industriellenvereinigungfordert vor diesem Hintergrund die Umsetzung kurz-, mittel- und langfristiger Maßnahmen, kurz einen gemeinsamen „Masterplan“.

Kurzfristig: Betriebe treffsicher entlasten

„Zuerst braucht es kurzfristig rasche und vor allem treffsichere Unterstützungsmaßnahmen wie die Strompreiskompensation“, so IV-Präsident Georg Knill. Diese Bei- hilfe für stromintensive Unternehmen zur Kompensation indirekter CO2-Kosten ist treffsicher und in 14 europäischen Staaten im Einsatz. Für die IV ist ein Modell nach deutschem Vorbild wünschenswert. Dies würde eine Entlastung eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags für jene stromintensiven Unternehmen bringen, die es am dringendsten brauchen. Außerdem fordert die Industriellenvereinigung ein Moratorium oder Aussetzen für Maßnahmen auf nationaler oder europäischer Ebene, die Unternehmen in dieser herausfordern- den Zeit zusätzlich belasten würden. „Eine falsch umgesetzte Dekarbonisierung darf nicht zu einer Deindustrialisierung führen. Wir haben eine völlig neue Situation bei der Energieversorgung aufgrund der funda- mentalen geopolitischen Entwicklungen mit weitreichenden Folgen für die Energieversorungssicherheit in Österreich und Europa. Bevor wir nun Gesetze wie Klimaschutz- oder Energieeffizienzgesetz vorantreiben, müssen diese Auswirkungen vollständig geklärt sein", so Knill.

Kurzfristig wirksam ist auch die (bisherige) Positionierung Österreichs auf EU-Ebene gegen jede Art eines Gasembargos gegen Russland. IV-Generalsekretär Neumayer: „Die Lage ist ernst – die Energieversorgung Österreichs steht auf dem Spiel. Tritt der Extremfall einer Drosselung oder Aussetzung der russischen Gaslieferungen ein, haben wir eine Energiekrise in derzeit noch nicht vorstellbarem Ausmaß.“ Die Industrie kritisierte daher Ende März das Krisenmanagement im Klimaschutzministerium als „angesichts der Lage völlig unzureichend“. Der Vorschlag lautete: Ein Energie-Staatssekretär sollte sich direkt im Bundeskanzleramt ausschließlich den aktuellen Herausforderungen widmen. Auf den Punkt gebracht: „Energiepolitik muss jetzt Chefsache werden. Das Ziel ist Autonomie, Autarkie ist unmöglich.“

Mittelfristig: Diversifizieren und entideologisieren

Aus Sicht der Industrie ist es wichtig, die bisherige Energiedebatte zu entideologisieren. „Die Energiepolitik muss weg von einer ideologisch geführten Diskussion hin zu einer zukunftsorientierten, offenen und technologieneutralen Debatte“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. In der mittelfristigen Perspektive muss es vorrangig um eine Diversifizierung der derzeitigen europäischen Energieversorgung gehen, wobei die Golf-Staaten wichtige strategische Partner sind. „Darüber hinaus müssen wir ebenso den Ausbau komplementärer emissionsfreier Energiequellen vorantreiben, wodurch sich der Bedarf an Gasenergie reduzieren, aber nicht vollends substituieren lässt.“ Was die Erdgasbevorratung betrifft, unterstützt die IV den Aufbau einer strategischen Reserve, auf die sowohl Haushalte als auch Industrie im Krisenfall zugreifen können. „Die Bevorratung ist durch die aktuell in die Höhe getriebenen Preise mit einem sehr hohen finanziellen Risiko verbunden, das nur vom Staat übernommen werden kann“, argu- mentiert Knill. Mittelfristiges Ziel hinsichtlich der Gasversorgung muss es sein, frei aus einem differenzierten Lieferantenkreis wählen zu können, um damit nicht auf Gedeih und Verderb von einem Lieferanten abhängig zu sein. Besonders wichtig ist auch der Ausbau von LNG-Kapazitäten.

Die Energiepolitik muss weg von einer ideologisch geführten Diskussion hin zu einer zukunftsorientierten, offenen und technologie-neutralen Debatte.

Klar müsse allen in der Politik jedenfalls eines sein, so Knill: „Österreich wird aufgrund seiner geografischen Lage sowie den starken saisonalen Einflüssen auf die erneuerbare Energiegewinnung nicht in der Lage sein, seinen Energiebedarf durch erneuerbare Energiequellen im Inland vollständig zu decken. Daher werden wir immer auf komplementäre Energiequellen und Energietransporte und auf klimaneutralen Wasserstoff angewiesen sein.“

Langfristig: Berechenbare Transformation wirksam unterstützen

Ein wichtiger, langfristig wirksamer Hebel für eine sichere Energieversorgung ist die drastische Beschleunigung der Genehmi- gungserfahren, um damit den Anteil erneuerbarer Energie aus heimischer Produktion zu erhöhen. „Die Grünen haben durch unnötige Verzögerungen des EAG den Ausbau der erneuerbaren Energien gedämpft. Zahlreiche Unternehmen waren bereits in den Startlöchern, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Leider sind zahlreiche Projekte so auf die lange Bank geschoben worden“, kritisiert der IV-Präsident. Mehr Zukunftsorientierung erwartet er auch mit Blick auf die Wasserstoffwirtschaft: „Was heute Erdgas ist, wird in Zukunft Wasserstoff sein. Klimaneutraler Wasserstoff kann zum zentralen Energieträger insbesondere für industrielle Prozesse werden. Dies erfordert die grundsätzliche politische Offenheit für alle Arten von klimaneutralem Wasserstoff sowie das Zulassen von Wasserstoffimporten in großem Umfang“, so Knill. Besonders wichtig für den erfolgreichen Ausstieg aus fossilen Energieträgern: Die heimische Industrie muss durch einen langfristig aufgesetzten Transformationsfonds bei der Gestaltung der Energiewende unterstützt werden. Die Größenordnung soll sich an den Versteigerungserlösen orientieren, die mittlerweile über 300 Millionen pro Jahr ausmachen.

Für IV-Präsident Georg Knill ist klar: „Wir haben aufgrund der fundamentalen geopolitischen Entwicklungen eine völlig neue Situation bei der Energieversorgung. Wir unterstützen die notwendige Transformation, brauchen dafür aber auch wirksame Begleitung und Unterstützung durch die Politik.“

IV-FAKTENCHECK: Bis 2030 will Österreich seinen Strombedarf rein rechnerisch zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken. Um dieses Ziel des Erneuerbaren Ausbau Gesetzes (EAG) zu erreichen, erfordert das 43 Milliarden Euro an Investitionen. Rund 25 Milliarden Euro davon sind für Projekte zum Ausbau der Erzeugung von sauberem Strom notwendig. Die Modernisierung und Digitalisierung der Netze benötigen Investitionen von etwa 18 Milliarden Euro. Wenn man die Klima- und Energie- ziele ernst nimmt, dann bedeutet das auch ein gewaltiges Investitionsprogramm. Umso wichtiger ist, dass die Politik endlich den Startschuss setzt, etwa durch raschere und effizientere Genehmigungsverfahren oder den Beschluss bisher ausständiger Gesetze und Richtlinien.


Verwandte Themen