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Europas neues Sicherheitsgefühl

Keine EU-Armee

Das ist durchaus ein bemerkenswerter Schritt. Seit 2007 unterhält die EU „Battlegroups” als ständig aktive Kampfverbände mit jeweils 1500 Soldaten. Zum Einsatz kamen sie bisher aber nie. Das soll sich mit dem neuen Konzept der „Rapid Deployment Capacity“ (RDC) ändern – die Truppe soll ab 2025 einsatzbereit sein und im ersten Jahr will Deutschland das Kontingent stellen. Auch Österreich hat angekündigt, sich künftig beteiligen zu wollen. Die Aufgaben der RDC beschreibt Brieger so: „Im Zentrum steht die Reaktionsfähigkeit, wenn es darum geht, Stabilisierungseinsätze, Evakuierungseinsätze, aber auch humanitäre Hilfe oder Friedensdurchsetzung und ähnliche Szenarien außerhalb Europas beherrschen zu können”. Ein großes, gemeinsames Heer sieht der General derzeit nicht: „Ob es eine europäische Armee in irgendeiner ferner Zukunft geben wird, ist meines Erachtens eine Frage des politischen Integrationsprozesses Europas. Wenn Europa zu einem Bundesstaat zusammenwächst, wäre eine eigene Armee dieses Bundesstaates eine logische Konsequenz. Aber davon sind wir weit entfernt”. Das Militärbündnis NATO werde für die Verteidigung Europas auf absehbare Zeit der „relevante Organisationsrahmen” bleiben. 23 EU-Länder sind NATO-Mitglieder – es gehe auch darum, die „europäische Komponente” in diesem Bündnis zu stärken.

 

 


Demokratie, wirtschaftliches Wachstum und sozialer Friede können nur bestehen, wen die äußere Sicherheit gewährleistet ist.

Robert Brieger ist der oberste General der EU

Dennoch geht es auch für die EU um mehr als schnelle „Battle Groups”, analysiert der Militärstratege: „Die Europäische Union hat zusammengenommen mehr als eine Million Soldaten und in Summe das drittgrößte Verteidigungsbudget weltweit nach den Vereinigten Staaten und China. Es geht eben darum, diese Dinge auch entsprechend zur Wirkung zu bringen. Das ist die große Herausforderung”. Dafür brauche es nicht nur mehr Mittel. Ganz oben auf der Liste von Brieger steht eine Beschleunigung von Entscheidungsprozessen – das Einstimmigkeitsverfahren würde er gerne zur Diskussion stellen. Die „Zusammenarbeitsfähigkeit” müsse im Zentrum strategischer Überlegungen stehen: „Gemeinsame Verfahren, gemeinsame taktisch-operative Grundsätze und möglichst ein einheitliches Rüstungsmaterial”.

 

 

Als Brieger sein Amt als Vorsitzender des EU-Militärausschusses in Brüssel antrat, lag der Einmarsch Russlands in der Ukraine gerade einmal drei Monate zurück. Rückblickend bewertet er die Reaktion Europas auf den Angriff durchaus positiv. Die rasche Reaktion sei „bemerkenswert” gewesen. In Summe seien mittlerweile über 80 Milliarden Euro an Hilfsgeldern geflossen, davon 28 Milliarden Euro militärischer Unterstützung, Munitionslieferungen und Ausbildungsmissionen – ergänzt durch 13 Sanktionspakete gegen Russland. Das sei in dieser Schärfe von Russland nicht erwartet worden, so Brieger. Jetzt gehe es darum, die Durchhaltefähigkeit zu erhalten: „Es war ein guter Schritt, dass europäische Mitgliedsstaaten die eigenen Rüstungsgüter in großem Umfang und rasch zur Verfügung gestellt haben. Aber beim Aufsetzen gemeinsamer Initiativen für die Produktion etwa von dringend benötigter Munition gibt es sicher noch Möglichkeiten, die nicht ausgeschöpft wurden. Die Europäische Verteidigungsagentur hat beispielsweise eine Reihe von Verträgen aufgesetzt, über die sich Mitgliedsstaaten zusammenschließen können, um eine raschere und auch kostengünstigere Munitionsproduktion zu realisieren. Davon haben bisher nur sieben Mitgliedsstaaten Gebrauch gemacht”.

Neben Waffen und Munition sieht Brieger in Europa bei einer wesentlichen sicherheitspolitischen Komponente Nachholbedarf: den Nachrichtendiensten. Während er nicht damit rechnet, dass sich der Krieg auf Länder von EU oder NATO ausweiten könnte – dafür seien die Kräfte Russlands zu sehr gebunden und abgenützt – hält er die Bedrohung kritischer Infrastruktur für sehr real. Egal ob es um Brücken, Leitungen oder Daten geht – bei solchen Zwischenfällen ist eine Identifizierung der Angreifer meist schwierig. „Es muss eine entsprechende strategische Nachrichtengewinnung auf europäischer Seite stattfinden, um Entwicklungen in diesen Bereichen einstufen und abschätzen zu können”, so der General.

Arbeitskräftemangel

Nicht zuletzt muss sich Europa auch im militärischen Bereich dem Arbeitskräftemangel stellen: „Alle Investitionen sind vergeblich, wenn es nicht gelingt, die notwendigen Personalfehlstellen zu schließen. Das österreichische Bundesheer ist hier nicht allein mit seinen Sorgen, sondern ich stelle bei vielen europäischen Streitkräften ähnliche Nachwuchsprobleme fest. Ich kann nur alle politischen Entscheidungsträger ersuchen, hier sowohl finanzielle, als auch arbeitstechnische Anreize zu schaffen, um die notwendigen Männer und Frauen in Uniform auch wirklich zur Verfügung zu haben”.

Für Österreich sieht Brieger kein unmittelbares Angriffsszenario, da das Land von Partnerstaaten und NATO-Mitgliedern umgeben ist. Die neue Sicherheitsstrategie Österreichs, die derzeit in Ausarbeitung ist, müsse eng auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union abgestimmt sein, bei der Österreich als EU-Mitglied mitwirkt. Insgesamt appelliert der General, die Sicherheitsfrage nicht zu unterschätzen, auch wenn sie gerade mit anderen wichtigen Politikbereichen um Aufmerksamkeit ringt – Inflation, Rezession, Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarkt, zählt Brieger auf. „Das sind wichtige Bereiche, zuerst muss aber die Sicherheit gewährleistet sein. Und wenn wir es zulassen, dass in Europa ein souveräner Staat durch ein autokratisches Regime zerstört wird, dann ist das ein Schwächezeichen, das unsere Handlungsfähigkeit für die absehbare Zukunft deutlich herabsetzen wird. Darum geht es”.