Die Lage in der Industrie ist nach wie vor angespannt, und das liegt vor allem an den Rahmenbedingungen, sagt der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, im Interview. „Runter mit den Kosten, weg mit überbordender Bürokratie und her mit einem Lateinamerika-Abkommen“, fordert er.
Interview: "Es muss ein Ruck durchs Land gehen"

Wie ist die Lage in der Industrie? Die Wirtschaft zieht sanft an, gleichzeitig belasten die Zölle der USA die Exporte.
Georg Knill: Die Lage in der Industrie ist nach wie vor sehr angespannt. Mit August gab es in der Herstellung von Waren über 30.000 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr – ein Plus von 6,7 Prozent. In den letzten zwei Jahren haben wir in der Industrie über 56.000 Arbeitsplätze verloren; diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach weiter fortsetzen. Grund dafür sind vor allem die Rahmenbedingungen unseres Standorts: Die Kosten für Energie, Arbeitskräfte, aber auch die Bürokratie sind in den letzten Jahren exorbitant gestiegen, was unsere Unternehmen und den Standort insgesamt im internationalen Vergleich massiv ausbremst. Wir haben uns aus dem Markt gepreist. Wenngleich die Wirtschaft sanft anziehen mag, steht dieses Wachstum auf einer fragilen Basis – ob wir mit einem Wachstum aus dem Jahr 2025 gehen, ist noch lange nicht ausgemacht, dazu sind die Parameter zu unsicher. Die US-Zölle dürften unser ohnehin schwaches Wirtschaftswachstum um 0,1 Prozent bis 0,2 Prozent nach unten drücken. Zusätzlich kommt die Unvorhersehbarkeit der USA als Handelspartner hinzu. Kurzum: Wir können die Welt um uns herum nicht kontrollieren; was wir jedoch können, ist, unsere Standortaufgaben zu machen: runter mit den Kosten, weg mit überbordender Bürokratie und her mit einem Lateinamerika-Abkommen.
Was braucht es, damit Unternehmen mit der neuen Realität auf den Weltmärkten gut klarkommen?
Die Unternehmen brauchen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen: Das beginnt beim derzeit zu hohen Abgabenkeil auf Arbeit von 47 Prozent, von dem die Lohnnebenkosten nach wie vor den größten Anteil ausmachen. Hier braucht es konsequentes unternehmerisches Denken seitens der Bundesregierung. Schließlich müssen wir uns neuen Absatzmärkten öffnen: Mercosur ist ein gut gemachtes Freihandelsabkommen, das über 25 Jahre verhandelt wird. Hier muss die Bundesregierung ihren Widerstand aufgeben. Wir müssen Mauern einreißen, anstatt neue aufzuziehen.
Wenn die Wirtschaft und die Produktion in der Industrie nun anziehen, wird das den Arbeitskräftemangel wieder verstärken. Wie kann hier gegengesteuert werden?
Schon heute ist der Arbeitskräftemangel eine der weiteren Wachstumsbremsen für die Industrie. Deshalb müssen wir an mehreren Punkten gleichzeitig ansetzen: Erstens geht es darum, die inländischen Potenziale besser zu nutzen – etwa durch ein flexibleres Pensionsantrittsalter, attraktivere Modelle für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, damit mehr Menschen Vollzeit arbeiten können. Zweitens müssen wir in Aus- und Weiterbildung investieren, insbesondere in technischen Berufen und den MINT-Fächern, wo der Bedarf besonders hoch ist. Und drittens brauchen wir eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften: Österreich hat allein zwischen 2011 und 2023 rund 170.000 erwerbstätige Zuwanderer verloren, vor allem aus der EU und aus wohlhabenden OECD-Staaten – wir verlieren jene Menschen, die wir am meisten brauchen. Wenn wir die besten Köpfe anziehen wollen, müssen wir Bürokratie abbauen und ein modernes, chancengerechtes und unbürokratisches Einwanderungsland werden. Nur mit dieser Kombination können wir den Fachkräftemangel ernsthaft und nachhaltig bekämpfen.
Wie zufrieden sind Sie bis jetzt mit der Arbeit der neuen Regierung?
In den vergangenen Monaten wurden richtige und wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir konnten beispielsweise die neuerliche Umsetzung der Strompreiskompensation erwirken, wenn auch in abgeschwächter Form. Das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz hat das Potenzial, den Strommarkt auf die Höhe der Zeit zu heben. Mit der Einführung der Teilpension sowie der Anhebung der Altersgrenzen bei der Korridorpension von 62 Jahre auf 63 Jahre wurden erste Schritte gesetzt, um Menschen länger im Erwerbsleben zu halten. Das sind erste positive Schritte, zum großen Ganzen braucht es jedoch noch mehr – es muss ein Ruck durchs Land gehen. Wir verlieren sonst unseren Wohlstand weiter. Unser Pensionssystem ist in die Jahre gekommen und braucht ein Alters-Update. Die Zuschüsse des Staats steigen immer weiter, gleichzeitig zeigen uns verschiedenste Untersuchungen, dass die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenzen wesentlich ist, um die Menschen länger in der Erwerbstätigkeit zu halten. Gleiches gilt im Gesundheits- und Bildungsbereich: Wir brauchen einen positiven Reformschub, der Österreich wieder nachhaltig auf Kurs bringt. Umso größer sind auch die Erwartungen der Unternehmen an die in Ausarbeitung befindliche Industriestrategie. Diese muss ein klarer Fahrplan für die Politik sein und darf nicht zu einem Sammelsurium werden.
Ein großer Brocken, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene, ist die Bürokratie. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission wollen die Bürokratiebelastung für Unternehmen mildern. Sind Sie optimistisch, dass das kommen wird?
Wir haben als Österreich das Potenzial, unsere Aufgaben zu machen, auch im Bereich des Bürokratieabbaus – die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Aber der Weg dorthin ist kein Selbstläufer: Entscheidend ist, dass wir nicht nur über Bürokratieabbau reden, sondern ihn auch wirklich konsequent umsetzen. Das heißt: klare Fristen, konkrete Vereinfachungen – und vor allem eine Evaluierung, ob neue Gesetze tatsächlich zu weniger Aufwand führen. Die Bundesregierung hat den Bürokratieabbau zu einer ihrer zentralen Prioritäten gemacht und muss ihn auch konsequent umsetzen. Immer neue Regelungen, von Hitzeschutzplänen bis zu komplexen neuen Entgeltberichten, sind eher das Gegenteil und kontraproduktiv. Auf EU-Ebene wurden bereits Vereinfachungen bei Lieferkettenrichtlinie, Nachhaltigkeitsberichterstattung oder Taxonomie angekündigt. Das sind erste positive Schritte, die konsequent weitergegangen werden müssen.