Samantha Graham-Maré ist seit Juni 2024 stellvertretende Energieministerin Südafrikas. Sie war im Haus der Industrie zu Gast und spricht im Interview über Südafrikas ambitionierte Pläne in der erneuerbaren Energieproduktion und den dafür benötigten Netzausbau. Für Graham-Maré sind österreichische Industrieunternehmen aufgrund ihres hoch entwickelten Fachwissens ideale Partner in diesen Fragen.
„Südafrika kann Europa bei der Diversifizierung seiner sauberen Energiequellen helfen“

Angesichts des steigenden Bedarfs an Energie aller Art seitens der Industrie und der Haushalte: Welche Ziele verfolgt die südafrikanische Regierung in den kommenden Jahren in diesem Bereich?
Samantha Graham-Maré: Der Hauptfokus in den nächsten fünf Jahren wird darauf liegen, ein Energiesystem zu schaffen, das gut reguliert, investitionsfreundlich und in der Lage ist, inklusives Wirtschaftswachstum und Industrialisierung zu unterstützen. Die südafrikanische Regierung hat die dringende Notwendigkeit einer verlässlichen und nachhaltigen Energieversorgung erkannt und die Strukturreformen im Stromsektor beschleunigt. Die Novelle des Stromregulierungsgesetzes von 2024 stellte einen entscheidenden Moment bei der Liberalisierung des Strommarkts dar, indem sie eine stärkere Beteiligung des Privatsektors an der Stromerzeugung und -übertragung ermöglicht. Die stark steigende weltweite Nachfrage nach Komponenten für erneuerbare Energien und nach kritischen Mineralien bietet Südafrika zudem eine strategische Chance, sich als wichtiger Anbieter in der Wertschöpfungskette für saubere Energie neu zu positionieren.
Was sehen Sie derzeit als die größten Herausforderungen bei Südafrikas Energiewende – und wie will die Regierung diese bewältigen?
Die unzureichende Netzinfrastruktur für die Übertragung bleibt eines der wesentlichsten Hindernisse für die südafrikanische Energiewende. Der Entwicklungsplan für das Übertragungsnetz von Eskom schätzt, dass 390 Milliarden Rand erforderlich sind, um das Netz um 14.200 Kilometer zu erweitern und so die Anbindung von mindestens 53 Gigawatt an neuen erneuerbaren Kapazitäten zu ermöglichen. Die wachsende Energienachfrage ist ebenfalls eine der zentralen Herausforderungen Südafrikas: Vor 25 Jahren waren fast 65 Prozent der Haushalte an das Stromnetz angeschlossen, während es im Jahr 2024 fast 89 Prozent sind.
Hat Südafrika spezifische Ziele, die mit jenen der Europäischen Union vergleichbar sind, zum Beispiel beim Anteil erneuerbarer Energien, bei der Ausbaugeschwindigkeit oder bei der Dekarbonisierung?
Ja, Südafrikas Ziele für erneuerbare Energien und Dekarbonisierung sind durchaus mit jenen der EU vergleichbar, auch wenn sie auf den einzigartigen wirtschaftlichen und energetischen Kontext des Landes zugeschnitten sind. Der südafrikanische Integrierte Ressourcenplan (IRP) sieht bis 2030 vor, über 40 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren zu beziehen – darunter 14,4 Gigawatt aus Wind und sechs Gigawatt aus Solar –, während der Kohleanteil auf unter 45 Prozent sinken soll. Diese Ziele sind zwar ehrgeizig, doch es gibt weiterhin Herausforderungen bei der Umsetzung. Das Land kämpft mit einer veralteten Netzinfrastruktur, finanziellen Engpässen und der Notwendigkeit erheblicher Investitionen in den Ausbau der Übertragungsnetze. Tausende Kilometer neuer Leitungen müssen gebaut und Investitionen in Milliardenhöhe mobilisiert werden. Die Partnerschaft mit erfahrenen internationalen Unternehmen – einschließlich österreichischer Firmen – wird entscheidend sein. Die Präqualifikationsphase läuft, die Einreichfrist endet im November 2025, und dies wird in naher Zukunft zu den eigentlichen Ausschreibungen führen. Gerade hier ist das Fachwissen der österreichischen Industrie und des Anlagenbaus besonders gefragt.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für eine vertiefte Energiekooperation zwischen Südafrika, Österreich und der Europäischen Union, insbesondere in Bereichen wie erneuerbare Energien, Wasserstoff oder technologischer Austausch?
Einer der spannendsten Bereiche ist grüner Wasserstoff. Südafrika verfügt über ein enormes Solar- und Windenergiepotenzial. Wenn dieses effektiv genutzt wird, kann es sowohl den heimischen Energiebedarf decken als auch Überschüsse für die Produktion von grünem Wasserstoff schaffen – ein Bereich, der für die EU bei ihrer Energiewende von zentralem Interesse ist. Gemeinsame Forschungsinitiativen, Programme zur Fachkräfteentwicklung und Investitionen in die Infrastruktur könnten Südafrikas Energiewende beschleunigen und gleichzeitig Europa bei der Diversifizierung seiner sauberen Energiequellen helfen. Österreich mit seinem Fachwissen bei hoch entwickelten Industrieprozessen und Unternehmen wie Siemens Energy ist auf diesem Weg der ideale Partner für uns.
Südafrika ist offen für Investitionen. Wir gestalten unseren Energiesektor um – wir bauen die erneuerbaren Energien in großem Stil aus und eine grüne Wasserstoffwirtschaft auf. Wir schaffen die Infrastruktur, um all das zu vernetzen. Für österreichische Unternehmen ist dies eine klare Botschaft: Südafrika ist nicht nur ein reiner Absatzmarkt; es ist eine Plattform für gemeinsame Produktion, Joint Ventures und Innovationen, die sowohl unserem eigenen Bedarf als auch den breiteren afrikanischen und globalen Märkten dient.
Südafrika ist der wichtigste Markt für österreichische Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent – rund 30 Prozent der gesamten österreichischen Exporte nach Afrika gehen nach Südafrika.
In welchen Bereichen sehen Sie weiteres Potenzial, die Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen und zu stärken?
Energie ist zwar das Rückgrat unserer Wirtschaft, doch die Chancen im Infrastrukturbereich gehen weit über den Energiesektor hinaus. Über Energie und Industrie hinaus gibt es auch großes Potenzial, die Zusammenarbeit im entscheidenden Bereich der Berufsausbildung auszubauen. Eine stärkere Partnerschaft im Bildungs- und Qualifizierungsbereich, insbesondere in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (TVET), kann die Entwicklung der südafrikanischen Arbeitskräfte unterstützen und gleichzeitig eine langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern. Diese Bereiche versprechen nicht nur wirtschaftlichen Nutzen, sondern tragen auch zu einer inklusiven Entwicklung und zum Innovationsaustausch zwischen den beiden Ländern bei.
Ermöglicht wird dies durch die kürzlich erfolgte Unterzeichnung einer Absichtserklärung (MoU) zwischen Südafrika und Österreich über die Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung durch arbeitsplatzbasiertes Lernen, die während des Staatsbesuchs des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen von 4. bis 7. Juli 2025 in Südafrika stattfand.


